LINKE mit Diskussionsbedarf zur Volkszählung 2021

Gute Politik braucht verlässliche Daten, aber gute Zahlen machen noch lange keine gute Politik. Der für 2021 geplante Zensus ist schon wegen dem EU-Recht nötig, aber die für die Volkszählung geplanten 950 Mio. Euro stehen nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen einer solchen Daten-Vollerhebung.


Auszug aus dem Plenarprotokoll 19/92 vom 4.4.2019 (Zu Protokoll gegebene Rede):

Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Zensus im Jahr 2021 (Zensusgesetz 2021 – ZensG 2021)

Dr. André Hahn (DIE LINKE):

Gute Politik braucht verlässliche Daten und Statistiken, aber gute Zahlen machen noch lange keine gute Politik. Seit dem letzten Zensus 2011 gab es kein einziges größeres politisches Vorhaben, das auf damaligen Erkenntnissen aus dem Zensus fußte und auf dort sichtbar gewordene Entwicklungen in der Bevölkerung reagierte.

Das Gegenteil ist leider der Fall. Schon mit den Daten aus dem letzten Zensus hätte man wissen können, dass die Bevölkerung altert und ländliche Räume davon stärker betroffen sind als städtische. Aber die Politik hat weitgehend tatenlos zugesehen, wie ein Pflegenotstand entstanden ist. Aktualisierte Daten auf Bundesebene sind auch nicht notwendig, um den Bedarf an Kita- und Schulplätzen oder beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs so einschätzen zu können, dass dafür ausreichend finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Zahlen zur Entwicklung von Geburten beispielsweise liegen den kommunalen Meldebehörden ohnehin vor. Der Mangel an Kitaplätzen entsteht also nicht dadurch, dass unbekannt wäre, wie hoch der Bedarf in den kommenden Jahren sein wird. Ähnliches gilt für die Schulnetzplanung.

Deshalb muss die Frage gestattet sein, ob die für die Volkszählung erforderlichen 950 Millionen Euro, die vor allem die Länderhaushalte belasten werden, in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen einer solchen Vollerhebung der Daten der Bevölkerung stehen. Aus Sicht der Linken ist das nicht der Fall.

Wir begrüßen, dass es anders als in vergangenen Zeiten keine Erhebung durch Befragungen gibt, sondern der Zensus weitgehend registergestützt erfolgen soll. Damit sinkt die Belastung für die Bevölkerung erheblich. Zugleich werden so aus guten Gründen bislang getrennt gespeicherte Daten zusammengeführt und miteinander abgeglichen, wofür jeweils ein klares Identifikationsmerkmal vergeben wird. Die Bundesregierung konnte die Bedenken, dass hier technisch die Zuordnung von Bürgerinnen und Bürgern zu einem eineindeutigen Identifikator, also beispielsweise einer Personenkennziffer, ermöglicht wird, nicht wirklich ausräumen.

Natürlich benötigen wir für politische Entscheidungen auch eine belastbare Datengrundlage. Durch die Zensusvorbereitung und den eigentlichen Zensus soll beispielsweise sichergestellt werden, dass alle Bundesländer korrekte Zahlen zu ihrer Bevölkerung erhalten, um ihren Anteil am Länderfinanzausgleich korrekt bestimmen zu können.

Da lediglich die den Meldebehörden ohnehin vorliegenden Daten übermittelt werden, liegt hier zunächst kein zusätzlicher Grundrechtseingriff vor. Allerdings sollte sich die Volkszählung auf die tatsächlich in der EU-Verordnung geforderten Daten beschränken, wie es im Gesetzentwurf behauptet wird. Eine Erhebung des Merkmals „Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft“ ist dort jedoch gar nicht enthalten. Da diese Daten durch Abfrage bei den Finanzämtern auch einfach und ohne mögliche Dubletten erhältlich wären, ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar, warum sie in die umfassende registergestützte Erhebung einfließen sollen.

Auch die Daten zum Familienstand gehen über das hinaus, was in der Verordnung vorgesehen ist. Anzugeben ist nach dem Gesetzentwurf auch das Datum der letzten Auflösung einer Ehe oder Lebenspartnerschaft. Die Verordnung sieht aber nur die Erhebung des aktuellen Familienstandes vor. Ob eine geschiedene Person nun mit einem neuen Partner in einer Wohngemeinschaft zusammenlebt, hat den Staat nicht zu interessieren. Ob es sich lediglich um eine Zweckgemeinschaft oder eine Lebensgemeinschaft handelt, ist außer im Falle gemeinsamer im Haushalt lebender Kinder auch gar nicht aus den Daten ablesbar. Man fragt sich, warum diese Angaben überhaupt erhoben werden sollen.

Sorgen bereitet uns nicht zuletzt die Zusammenführung aller Daten der Wohnbevölkerung in Deutschland in einem großen Datensystem. Der Gesetzentwurf sieht zunächst eine klare Zweckbindung der Daten vor, und diese müssen nach dem neuesten Stand der Technik gegen unberechtigten Zugriff gesichert werden. Aber bei den Entwicklungen in der Innenpolitik dieser Bundesregierung und den immer wieder geäußerten Begehrlichkeiten der Sicherheitsbehörden, auf möglichst viele Daten Zugriff zu erhalten und darin Rasterfahndungen durchführen zu können, ist jedenfalls nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass die im System gespeicherten Daten eben doch anders verwendet werden. Und zugleich stellen solche Massen von Daten auch ein lohnendes und attraktives Angriffsziel für Hacker und ausländische Geheimdienste mit entsprechenden technischen Möglichkeiten dar. Dieses Einfallstor darf nicht geöffnet werden.

Was die Erhebung von Daten zu Wohneigentum und zur Struktur von Eigenheimen und Mietwohnungen angeht, sehen wir durchaus einen Bedarf für diese Daten. Hier brauchen die Länder und Kommunen tatsächlich einen Überblick über die aktuelle Wohnungssituation, und es wäre zu prüfen, ob hier nicht sogar zusätzliche Daten erhoben werden müssten, um zum Beispiel Maßnahmen wie die Mietpreisbremse durchsetzen zu können.

Im Januar und Februar 2019 hat das Statistische Bundesamt bereits einen Testlauf mit den Meldedaten durchgeführt, um die IT-Infrastruktur zu testen. An diesem Testlauf gab es auch von der Linken erhebliche Kritik, weil zum einen ein erheblicher Datenkranz erhoben wurde, zum anderen keine Pseudonymisierung der Daten durchgeführt und diese für zwei Jahre gespeichert bleiben sollen. Anders als im Testlauf werden bei der realen Durchführung des Zensus die Klarnamen von den übrigen Daten getrennt übermittelt.

Es gibt also aus Sicht der Linken noch einigen Diskussionsbedarf in den Ausschüssen, bevor wir hier im Bundestag abschließend über den Gesetzentwurf entscheiden können.