Nur der Bundestag darf über Grundrechtseinschränkungen entscheiden

Das Corona-Virus ist leider gefährliche Realität. Gegenmaßnahmen, zum Teil auch drastische, sind kaum vermeidbar. Aber gerade in dieser schwierigen gesundheitlichen Lage muss der Bundestag bei Grundrechtseinschränkungen das Letzt-Entscheidungsgremium sein und bleiben! Das fordern wir als LINKE seit langem und das müssen auch endlich Bundesregierung und Koalition akzeptieren.


Auszug aus dem Protokoll 19/189 vom 5.11.2020

Tagesordnungspunkte 9 a und 9 c auf:

  1. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gottfried Curio, Martin Hess, Dr. Bernd Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD

Umgehung des Parlaments bei Corona- Maßnahmen beenden – Beschlüsse des Corona-Gipfels vom 28. Oktober 2020 rückgängig machen

Drucksache 19/23949

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Federführung strittig
  1. c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beatrix von Storch, Jochen Haug, Dr. Gottfried Curio, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der AfD

Grundrechten trotz Corona wieder Gel- tung verschaffen – Versammlungs- und Religionsfreiheit auch während einer epi- demischen Lage sichern

Drucksachen 19/18977, 19/23805

 

Dr. André Hahn (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines gleich zu Beginn klarstellen: Anders als die AfD, die die Covid-19-Pandemie weitgehend leugnet und nahezu alle Gegenmaßnahmen zu diskreditieren versucht, will ich für meine Fraktion, Die Linke, eindeutig sagen: Das Coronavirus ist leider gefährliche Realität. Gegenmaßnahmen – zum Teil auch drastische – sind kaum vermeidbar, und auch wir fordern alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land auf, sich gerade in der jetzigen Infektionssituation an die Vorgaben zu Abstandsgeboten, zu Hygienestandards und zur größtmöglichen Reduzierung von persönlichen Kontakten zu halten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mit Ausnahme der AfD, die nur allzu gerne Chaos im Land befördern möchte, kann niemand ein Interesse an steigenden Infektionszahlen und einer Überforderung des Gesundheitssystems haben. Hier sollten alle demokratischen Parteien an einem Strang ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber die demokratischen Fraktionen, meine Damen und Herren, hier in diesem Haus haben auch die Pflicht, die verfassungsgemäße Gewaltenteilung zu achten und durchzusetzen. Doch diese Gewaltenteilung hat in den letzten Monaten nicht nur nicht funktioniert, sondern ist wiederholt verletzt worden.

(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das bestreite ich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich auch!)

Damit muss aus Sicht der Linken endlich Schluss sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist nicht länger hinnehmbar, dass sich in Berlin die Ministerpräsidenten der Länder mit der Bundeskanzlerin treffen, um in kleiner Runde über Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu debattieren und über weitreichende Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu entscheiden.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal mit Herrn Ramelow darüber!)

Gegen koordinierende Beratungen mit dem Ziel möglichst bundesweit einheitlicher Regelungen ist nichts einzuwenden.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach so!)

Aber die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein verfassungsmäßig oder irgendwo gesetzlich legitimiertes Gremium.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Sagt doch auch keiner! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Das hat doch nie jemand behauptet!)

Das muss auch die Bundeskanzlerin endlich begreifen.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Sollen sie sich jetzt abstimmen, oder nicht?)

Über zwingend notwendige, nachweisbar wirksame und nicht zuletzt verhältnismäßige Einschränkungen von Grundrechten darf niemand anderes als der Deutsche Bundestag entscheiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb ist es zwingend erforderlich, dass das Infektionsschutzgesetz diesbezüglich geändert und präzisiert wird.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das steht doch für morgen schon auf der Tagesordnung!)

Der Bundesgesundheitsminister darf sich nicht länger quasi als Nebenkanzler gerieren und durch Verordnungen sogar über geltende Gesetze hinwegsetzen können.

(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Wir haben das ins Infektionsschutzgesetz reingeschrieben! Mit der Mehrheit des Bundestages!)

Die Letztentscheidung muss immer beim Parlament liegen, und die Maßnahmen müssen klar befristet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das trifft sowohl auf die aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens erforderlichen Gegenmaßnahmen wie auch auf die finanzielle Kompensation für Einnahmeausfälle infolge staatlich verordneter Schließungen in Wirtschaft und Kultur zu.

Natürlich ist es ganz wichtig, dass die dann getroffenen Entscheidungen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern auch nachvollziehbar erklärt werden und man um Unterstützung wirbt. Genau daran hat es in den zurückliegenden Monaten vielfach gemangelt. Die Menschen haben oft den Eindruck, es gebe durch unterschiedliche Bestimmungen in den Bundesländern einen nicht mehr durchschaubaren Flickenteppich bei den coronabedingten Einschränkungen.

Dabei kommt es immer häufiger zu völlig abstrusen Regelungen, die man als Politiker seinen Wählerinnen und Wählern beim besten Willen nicht mehr erklären kann. Wie kann es zum Beispiel sein, dass bei einer Trauerfeier für einen Verstorbenen mit einem weltlichen Trauerredner nur 10 Menschen teilnehmen dürfen, weil sie als private Veranstaltung eingestuft wird, während bei einer Trauerfeier im selben Raum, bei der ein Pfarrer spricht, bis zu 30 Trauergäste zugelassen sind, weil das als religiöse Veranstaltung gilt? Absurder geht es kaum noch!

(Beifall bei der LINKEN)

Als Sportpolitiker könnte ich hier auch diverse Beispiele aus dem Sportbereich anführen, was die Redezeit nicht zulässt. Ich will aber klar sagen, dass wir als Linke den neuerlichen Lockdown im Bereich des Breitensports, insbesondere im Freien, für völlig unverhältnismäßig halten.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier wie auch in vielen kulturellen und gastronomischen Einrichtungen gibt es überzeugende, von den Gesundheitsbehörden geprüfte Hygienekonzepte, in deren Umsetzung auch viel Geld, zum Beispiel für Lüftungsgeräte, investiert wurde. Genutzt hat es den Betreibern nichts. Ihre Einrichtungen mussten nun schließen, und niemand weiß genau, wann sie wieder öffnen können. Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Maßnahmen zu überprüfen, und notfalls muss der Bundestag hier korrigierend eingreifen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir als Linke begrüßen, dass der Unterricht an den Schulen unter Berücksichtigung der Hygieneregeln weiterhin stattfinden kann. Aber was bringt das alles, wenn die Kinder vor und nach dem Unterricht in übervollen Bussen ohne jede Möglichkeit der Abstandswahrung zu ihren Wohnorten transportiert werden, wie es sicherlich nicht nur in meinem Wahlkreis, der Sächsischen Schweiz, geschieht? Und dass es in Zehntausenden Klassenzimmern in Deutschland wegen blockierter Fenster gar keine Möglichkeit zum Lüften der Räume gibt, sei hier nur am Rande erwähnt. Deshalb frage ich schon: Was haben Bund und Länder in den letzten Monaten eigentlich unternommen, um sich auf die ja nun wahrlich nicht überraschend kommende zweite Welle der Coronapandemie vorzubereiten?

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nach Ihrer Meinung dürfen die sich ja nicht mit der Kanzlerin treffen!)

Wichtig ist zudem, dass die politischen Entscheidungen nicht nur nachvollziehbar, sondern auch gerichtsfest sind. Nicht nur die umstrittenen Beherbergungsverbote, sondern auch Einschränkungen des Versammlungsrechts wurden durch diverse Gerichte aufgehoben. Diesen Urteilen muss künftig Rechnung getragen werden.

Natürlich geht es letztlich auch um die Frage, wer denn die Kosten dieser Krise trägt. Wir als Linke fordern hier eine einmalige Vermögensabgabe für Milliardäre und Multimillionäre als ersten wichtigen Schritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, noch einmal: Gerade in dieser schwierigen gesundheitlichen Lage muss der Bundestag bei Grundrechtseinschränkungen das Letztentscheidungsgremium sein und bleiben. Das fordern wir als Linke seit Langem. Dafür bedarf es endlich der Einsicht von Bundesregierung und Koalition, aber ganz sicher keines Antrags der AfD.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)