Den Zirkel der Macht berührt
Auf Lügen und Vertuschen will LINKE im NSA-Ausschuss mit deutlichem Votum reagieren
(Artikel im neuen deutschland)
Das Parlamentarische Kontrollgremium, dessen stellvertretender Vorsitzender Sie sind, hat am Mittwoch getagt. Das Gremium soll die Geheimdienste kontrollieren, deshalb tagt es geheim. Und so bleibt auch alles geheim. Worum ging es denn diesmal?
Die Tagesordnung ist zum Glück nicht geheim. Es ging um den Bericht zum Weihnachtsmarktanschlag von Berlin, den Einsatz von V-Leuten bei den Diensten, die Ausspähung von Journalisten und internationalen Polizeibehörden durch den BND sowie den Umgang des Verfassungsschutzes mit von der Türkei übergebenen Listen angeblicher Erdogan-Gegner.
André Hahn ist als Vizevorsitzender im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages (PKGr) und im BND/NSA-Untersuchungsausschuss mit der Kontrolle der Geheimdienste beschäftigt. Mit dem LINKE-Abgeordneten sprach Uwe Kalbe.
Erst war von einer Liste die Rede, dann von zwei, wie viele Listen aus der Türkei kennen Sie denn?
Im Innenausschuss war schon von dreien die Rede. Die PKGr-Sitzung ist leider geheim, so dass ich zu den Listen nichts sagen darf. Bundesregierung und die deutschen Geheimdienste müssen aber aufpassen, dass sie sich nicht zum Handlanger Erdogans machen lassen.
Die Ausschussmitglieder sind zum Schweigen verpflichtet. Kontrolle ganz im Vertrauen sozusagen …
Nach all den Negativ-Erfahrungen der letzten Jahre gibt es keinen Vertrauensvorschuss. Parlamentarische Kontrolle kann nur funktionieren, wenn sie wenigstens ein Stück weit transparent ist. Wenn ich nicht mal mit meinen Fraktionsvorsitzenden über Vorgänge im PKGr reden darf, zeigt das die Paradoxie des Ganzen. Ich bin ja nicht als Privatperson dort, sondern als Mitglied der Fraktion.
Wozu ist dann die viele Zeit gut, die Sie dort verbringen, außer für Ihr Insiderwissen?
Die überzogenen Geheimhaltungsregeln behindern natürlich die Arbeit. Aber auf die Kontrollmöglichkeit zu verzichten, wäre dennoch falsch und fahrlässig. Wir müssen alle parlamentarischen Instrumente nutzen. Geheimdienste wollen sich nicht in die Karten gucken lassen. Wir versuchen dennoch, so viel wie möglich ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, auch was dort schief läuft. Einiges hat sich bereits verändert.
Und das wäre?
Auch auf unseren Druck hin wurden die Kontrollbefugnisse erweitert, wir haben jetzt mehr Mitarbeiter zur Unterstützung unserer Arbeit, und von Berichten der Regierung können Tonbandmitschnitte gemacht werden. Als die NSA-Selektoren aufflogen oder Merkels Satz »Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht« sich als Ente erwies, weil klar wurde, dass auch der BND Freunde ausspionierte, da gab es fraktionsübergreifend heftige Kritik am BND wie auch an der Aufsicht durch das Kanzleramt. Es ist nicht mehr so wie früher, als die Journalisten nicht mal wussten, wo das Gremium tagt. Es gibt viel mehr öffentliche Erklärungen des Gremiums. Dazu braucht es allerdings eine Zweidrittelmehrheit, die Koalition muss zustimmen, bevor es zu einem Vorfall eine Bewertung gibt.
Und tut sie das?
In letzter Zeit immer häufiger, und das ist auch dem Druck der Öffentlichkeit und vor allem der Medien zu verdanken.
Das wäre dann ein Lob der Presse, nicht des Ausschusses.
Ich bin sehr dankbar für die investigative Arbeit von Journalisten. Das Gesetz verlangt, dass wir unterrichtet werden über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Doch was bedeutend ist, entscheidet am Ende die Bundesregierung. 70 bis 80 Prozent aller gravierenden Vorfälle erfahren wir über Medien. Das ist indiskutabel!
Ist es nicht auch für Unionsabgeordnete ehrenrührig, an der Nase herumgeführt zu werden?
Selbst in der Koalition hat sich Ärger aufgebaut darüber, was die Geheimdienste dem Parlament auftischen, gerade nach dem Versagen des Verfassungsschutzes und den Vertuschungsversuchen beim Thema NSU. Auch die CDU glaubt nicht mehr alles, was ihr präsentiert wird.
Muss man in einem Gremium sitzen, das die Geheimdienste nicht wirklich kontrollieren kann?
Wenn es uns nicht gäbe, würden die Bundesregierung und ihre Dienste noch ungehemmter und ungenierter agieren als ohnehin schon. Und wenn man sich ansieht, was der NSA/BND-Untersuchungsausschuss ans Licht brachte, dann ist das viel mehr, als die meisten vorher erwartet haben. Viele Dinge, die die Geheimdienste an Recht und Gesetz vorbei gemacht haben, haben wir dort aufgedeckt.
Also sogar ein Lob auf den NSA-Ausschuss?
Ein Lob mit Abstrichen. Unser eigentliches Ziel, den Geheimdiensten klare Grenzen zu setzen, haben wir angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht erreichen können. Und wenn am Ende im novellierten BND-Gesetz genau das legitimiert wird, was bisher illegal war, dann ist das natürlich die völlig falsche Konsequenz.
Und wenn die Bundeskanzlerin als letzte Zeugin der Beweisaufnahme behauptet, sie habe an ein No-Spy-Abkommen mit den USA geglaubt, obwohl ein solches Abkommen nie beabsichtigt war, also dem Ausschuss Fake-News auftischt, wie Donald Trump sagen würde, lässt das den Ausschuss nicht ziemlich dumm aussehen?
Das ist leider so. Die Ankündigung eines No-Spy-Abkommens war eine Beruhigungspille im Bundestagswahlkampf 2013. Der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat den Abhörskandal für beendet erklärt und ein Abkommen versprochen, über das man aber nie ernsthaft verhandelte. Die Öffentlichkeit wurde belogen.
Auch der NSA-Ausschuss, von der Bundeskanzlerin?
Ich halte es für völlig unglaubwürdig, dass die Bundeskanzlerin nicht gewusst haben will, dass auch der Bundesnachrichtendienst wie die NSA internationale Organisationen, EU-Regierungen und NATO-Länder ausspioniert, obwohl ihr Kanzleramtschef unterrichtet war. Am Ende hat man zwei Schuldige für die Skandale gefunden – Herrn Pofalla und den ehemaligen BND-Chef Schindler, was sehr praktisch ist, denn beide sind nicht mehr im Amt. Weitere Konsequenzen sollen offenbar nicht gezogen werden.
Was hat der Ausschuss dann also gebracht?
Er hat viel über die Tätigkeit von Geheimdiensten, über ihre Praktiken offen gelegt. Es war für viele unvorstellbar, dass der BND als Auslandsgeheimdienst hier im Inland am größten Kabelknotenpunkt Europas vier Jahre lang Tag für Tag Millionen Telefonate, Mails sowie SMS ausforschte, und die NSA saß mit an der Leitung. Zeitweise sind bis zu 13 Millionen NSA-Selektoren, also personalisierte Suchbegriffe, in den Abhöranlagen des BND-gelaufen. Dass es so viele Terroristen gibt, glaubt nicht mal die Bundeskanzlerin. Und wir haben herausgefunden, dass deutsche Geheimdienste Geodaten und Handynummern an die USA weitergegeben haben, die auch geeignet waren, Menschen durch Drohnenangriffe zu töten.
Wird es einen gemeinsamen Abschlussbericht des Ausschusses geben oder wird die Opposition ihre eigene Sicht der Dinge darlegen?
Der Umstand, dass allein der so genannte Feststellungsteil fast 1600 Seiten umfasst, zeigt, was in den letzten drei Jahren alles aufgedeckt worden ist. Strittig ist naturgemäß der Bewertungsteil, dem Vernehmen nach selbst innerhalb der Koalition. LINKE und Grüne wollen ein gemeinsames Minderheitsvotum vorlegen und möglichst detailliert auflisten, was bei den Geheimdiensten im Untersuchungszeitraum alles an rechtswidrigen Aktivitäten gelaufen ist.
Was kann das für ein Abschlussbericht sein, wenn Zeugen lügen und der wichtigste Zeuge, Edward Snowden, gar nicht gehört wurde?
Die von uns beigezogenen Akten haben schon sehr viel Aussagekraft. Mit der Zeugenaussage Edward Snowdens fehlt jedoch ein Kernstück im Abschlussbericht. Er ist ja eigentlich der Kronzeuge, er war Auslöser der Enthüllungen, hat selbst in der NSA gearbeitet. Die Bundesregierung hat alles getan, seine Vernehmung vor dem Ausschuss zu verhindern. Wir haben alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft, leider ohne Erfolg.
Verlangt die Arbeit in Geheimdienstausschüssen einen gewissen Hang zum Masochismus? Nicht einverstanden sein und auch noch darüber schweigen müssen?
Ich bin nicht masochistisch veranlagt, aber wir konnten im NSA-Ausschuss ja durchaus eine Menge erreichen. Dass wir dabei den innersten Zirkel der Macht berührt haben, zeigten die Reaktionen der Bundesregierung. Eigentlich öffentliche Sitzungen als streng geheim einzustufen, ist nur möglich mit der Begründung, dass der Bestand der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist. Das passierte gleich mehrfach. Wir waren also unbequem und werden das auch bleiben. Unser Minderheitenvotum wird auch ohne die Snowden-Aussagen nichts an Deutlichkeit vermissen lassen.
Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1049359.den-zirkel-der-macht-beruehrt.html