Beteiligung des Sächsischen Landtags an europarechtlichen Regelungen wichtiger politischer Fortschritt
Rede in der 35. Sitzung des Sächsischen Landtages am 20. April 2011
Beschlussempfehlung und Bericht des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses (Drucksache 5/5264) zu „Konsultation des Landtags im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung nach Art. 6 bis 8 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union“ (Drucksache 5/4979 – Antrag der Fraktionen CDU, DIE LINKE, SPD, FDP und GRÜNE)
Anrede,
mit der vorliegenden Subsidiaritätsvereinbarung zwischen dem Sächsischen Landtag und der Sächsischen Staatsregierung findet ein längerer Beratungsprozess einen weitgehend konstruktiven Abschluss, der letztlich seinen Ausgangspunkt in dem im Dezember 2009 in Kraft getretenen EU-Vertrag von Lissabon hat. Darauf ist bereits vom Redner der CDU-Fraktion hingewiesen worden, so dass ich mir weitere detaillierte Aussagen dazu ersparen kann.
Im Kern bleibt aber festzuhalten: Mit dem Vertragswerk von Lissabon wurden regionale Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen, also auch der Sächsische Landtag, in das System der Subsidiaritätskontrolle und des Frühwarnsystems endlich aktiv einbezogen.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass inzwischen nahezu 70 % deutscher Gesetzgebung durch Rechtsakte der Europäischen Union geprägt oder zumindest beeinflusst sind, wird gerade auch nach dem sogenannten Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009 deutlich, dass ein neu justiertes Kompetenzverhältnis zwischen der Europa-, Landes- und Regionalebene sowohl in Bezug auf die Legitimation europarechtlicher Entscheidungen wie auch zur aktiven Integration von Ländern und Regionen in ein gemeinsames Europa notwendig ist. Und wir als LINKE wollen das auch!
Europarechtliche Regelungen durchdringen – wenngleich in unterschiedlichem Maße – heute alle wesentlichen Lebensbereiche. Oft wird aber dieser gemeinschaftsrechtliche Einfluss auch hier in Sachsen als eher dirigistisch wahrgenommen, da eine konstruktive Beteiligung demokratischer Akteure in den Regionen entweder nur partiell bzw. gar nicht stattfindet oder aber zumindest nicht ausreichend öffentlich vermittelt wird.
Die Darstellung von Entscheidungen aus Brüssel erfolgt häufig in einem kritischen Licht, weil zu oft die Hintergründe ihres Zustandekommens unzureichend vermittelt werden. Würden wir zum Beispiel unter der Bevölkerung Sachsens nachfragen, was über die EU-Agenda 2020 bekannt ist und wie landespolitische Interessen mit dieser Agenda verbunden sind, wäre das Ergebnis aller Voraussicht nach ernüchternd bis erschreckend.
Diese Situation kann und muss mit einer wirklich ernst gemeinten Zuwendung des Sächsischen Landtages zu den laufenden europäischen Angelegenheiten im Rahmen von Subsidiaritätskontrolle und Frühwarnsystem deutlich verbessert werden. Wir wollen dazu unseren Beitrag leisten.
Mit anderen Worten: die tatsächliche Einbeziehung des Sächsischen Landtages in für Sachsen relevante Angelegenheiten der Subsidiaritätskontrolle, insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Frühwarnsystem ist keine Frage der Beliebigkeit oder bloßer passiver Kenntnisnahme europapolitischer Aktivitäten anderer, sondern sie erwächst aus dem realen Gestaltungsanspruch und der Notwendigkeit der Mitwirkung der Regionen in einer europäischen Perspektive.
Insbesondere für Sachsen mit seinen grenzüberschreitenden Verbindungen nach Polen und in die Tschechische Republik sowie natürlich auch im ureigenen Interesse sächsischer Landesentwicklung selbst ist eine aktive Vermittlung europäischer Integration unter direkter Einbeziehung des Sächsischen Landtages unabdingbar. Nur so kann die vorhandene Distanz zur Europäischen Union und die nicht zu übersehende Europamüdigkeit überwunden werden.
Es ist kein Geheimnis, dass wir als Fraktion uns im vorliegenden Antrag noch einige weitergehende, die Rechte des Parlaments stärkenden Regelungen gewünscht hätten. Ich will beispielhaft hier nur einen einzigen Punkt herausgreifen.
Die Stuttgarter Erklärung der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Deutschen Landesparlamente, verabschiedet auf der Konferenz am 21. und 22. Juni 2010, hat das Erfordernis der Beteiligung der Länderparlamente im europäischen Integrationsprozess für die Herstellung eines bürgernahen Europas der Regionen ausdrücklich hervorgehoben.
In Punkt 5 der Stuttgarter Erklärung heißt es, (Zitat) dass „die jeweiligen Regeln im Landesrecht, vorzugsweise im Landesverfassungsrecht, so auszugestalten (seien), dass die notwendige Mitwirkungsmöglichkeit des Landesparlaments gegenüber der Landesregierung zur Wahrnehmung der Integrationsverantwortung gesichert wird. Zu dieser Mitwirkungsmöglichkeit gehört über Informationsrechte hinaus die Möglichkeit, landesverfassungsrechtlich eine Bindung der Landesregierung beim Stimmverhalten im Bundesrat und bei der Erhebung von Verfassungsklagen auf Bundesebene vorzusehen.“
Diese von den 16 deutschen Landtagspräsidenten – soviel ich weiß – einstimmig beschlossene Formulierung wird von der LINKEN nachdrücklich unterstützt. Auch wir halten eine gesetzliche Regelung letztlich für unumgänglich.
Gewiss, die jetzt vorliegende Subsidiaritätsvereinbarung zwischen dem Sächsischen Landtag und der Sächsischen Staatsregierung zielt zunächst darauf ab, den praktischen Prozess der Subsidiaritätskontrolle und der Überprüfung europäischer Rechtsakte im Rahmen des Frühwarnsystems unmittelbar in Gang zu bringen, aber sie kann noch nicht alle damit im Zusammenhang stehenden Probleme endgültig lösen.
Fragen der Ausgestaltung der konstruktiven Erprobungsphase sollen daher im Verlaufe eines Jahres weiter erörtert werden, um im Ergebnis einer Evaluation über die weitere normative Ausgestaltung und gegebenenfalls landesverfassungsrechtlich zu gestaltenden Regelungen entscheiden zu können.
Nicht nur mit Bezug auf die Stuttgarter Erklärung, sondern auch mit Blick auf Erfahrungen in anderen Bundesländern werden jedoch bereits Konturen für mögliche Herausforderungen sichtbar, wie ein Blick in die vor wenigen Tagen abgeschlossene Vereinbarung zur Unterrichtung und Beteiligung des Thüringer Landtages in Angelegenheiten der Europäischen Union zeigt, die in einem zentralen Punkt der Stuttgarter Erklärung folgt und nun solche Entscheidungen der Landesregierung in Subsidiaritätsfragen zulässt, die dem Parlamentsvotum nicht entgegenstehen.
Dieser Verweis schmälert in keiner Weise den positiven Gehalt der vorliegenden Subsidiaritätsvereinbarung, er soll jedoch darauf aufmerksam machen, dass mit der Verabschiedung dieser Vereinbarung der unmittelbare Eintritt in eine Phase aktiver Beschäftigung und Debatte mit den für Sachsen relevanten europapolitischen und europarechtlichen Themen einsetzen muss, um die einjährige Erprobungszeit mit abschließender Evaluation effektiv zu nutzen.
Die nächsten Monate werden zeigen, wie der nunmehr gesetzte Rahmen und die Möglichkeiten für die Einbeziehung des Sächsischen Landtages zu einer tatsächlichen Mitgestaltung und Wahrnahme von Integrationsverantwortung führen.
Die Fraktion DIE LINKE ist entschlossen, sich auch an den kommenden Debatten zur Europapolitik aktiv zu beteiligen und hat gerade erst einen Antrag mit dem Ziel der Abgabe einer Regierungserklärung zum europapolitischen Konzept der Staatsregierung und dessen Umsetzung in den Jahren 2011 bis 2014 in den Geschäftsgang eingebracht, den wir in einer der nächsten Plenarsitzungen hier im Hohen Haus auf die Tagesordnung setzen werden.
Der heute vorliegende Antrag zur Subsidiaritätsprüfung ist mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss, aber er weist in die richtige Richtung, und deshalb wird meine Fraktion auch zustimmen.
Damit wir beim nächsten Tagesordnungspunkt nicht noch einmal das Wort ergreifen müssen, erkläre ich schon an dieser Stelle, dass wir logischerweise auch die sich aus diesem Antrag ergebende Änderung der Geschäftsordnung mittragen werden.
Die Europapolitik verdient ohne Zweifel eine stärkere Beachtung, nicht zuletzt auch hier im Sächsischen Landtag, und vielleicht können wir uns ja doch noch entschließen, dafür wieder einen eigenständigen Parlamentsausschuss einzurichten. Herzlichen Dank!