Den Frauenfußball vergessen
1. FFC Turbine Potsdam wünscht das Ende der 1000-Zuschauer-Obergrenze
In der 52. Minute pariert Turbine Potsdams Torhüterin Vanessa Fischer zwar erst den Elfmeter. Doch der Nachschuss sitzt und es steht 2:0 für Bayer Leverkusen. An diesem Ergebnis ändert sich bis zur 70. Minute nichts bei dieser Partie der 1. Bundesliga im Frauenfußball. Doch der brandenburgische Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) bleibt optimistisch. Er hält zu Turbine und verspricht: »Wir gewinnen noch!« Keiner will ihm das glauben. Doch das Kunststück gelingt. Mit Toren von Dina Orschmann, Gina Chmielinski und Melissa Kössler wendet Turbine innerhalb von 14 Minuten das Blatt. Das Begegnung bleibt spannend bis zur letzten Sekunde, als Nina Ehegötz in der Nachspielzeit das 4:2 schießt. Da reißt der Abgeordnete Görke auf der Tribüne die Arme hoch, schreit begeistert »Tor« und hüpft fünf oder sechs Mal in die Höhe. Der 59-Jährige weiß die Leistung der Spielerinnen einzuschätzen. In seiner Jugend kickte er für Chemie Premnitz in der DDR-Liga, der zweithöchsten Spielklasse Ostdeutschlands. Auch Görkes sächsischer Fraktionskollege André Hahn kennt sich aus. Hahn war Linienrichter in der DDR-Liga und fachsimpelt am Freitag im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion mit Turbine-Vereinspräsident Rolf Kutzmutz, der von 1994 bis 2002 der PDS-Bundestagsfraktion angehörte.
In der ersten Halbzeit zeigen die Fußballerinnen von Turbine schon ein paar sehr schöne Spielzüge, vergeben aber ihre Chancen. »Mit Verstand, kommt!«, motiviert Co-Trainer Dirk Heinrichs von der Seitenlinie. Chefcoach Sofian Chahed fehlt wegen eines Infekts. Aber auch ohne ihn stellt sich der Erfolg noch ein. Die Fans sind zufrieden. Bernd Schröder, der als Trainer von Turbine in den Jahren 1971 bis 2016 je sechs Meistertitel in der DDR und der BRD holte, dazu dreimal den DFB-Pokal gewann und einmal die Champions League, schüttelt lächelnd den Kopf: Hat Politiker Görke mit seiner zuversichtlichen Vorhersage doch tatsächlich Recht behalten.
Der Stadionsprecher macht den Leuten Laune. Es ist ein fantastischer Abend, eine Werbung für den Frauenfußball. Auf Platz vier rückt Turbine mit dem Sieg vor. Aber solange die Mannschaft nicht Tabellenführer ist, scheint das kaum von Interesse zu sein, bedauert Präsident Kutzmutz. Er zieht einen Vergleich: Würden in der Männer-Bundesliga Union Berlin oder Hertha Platz vier einnehmen, stünde die Hauptstadtregion Kopf.
Doch die Frauen werden vergessen, sogar von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), obwohl der das Team doch kennt. Bis zu 10 000 Zuschauer, teils sogar 15 000 dürfen in anderen Bundesländern wieder in die Fußballstadien hinein. Nur Brandenburg belässt es bei strengen Corona-Regeln und deckelt die Zuschauerzahl bei 1000. Woidke rechtfertigte das mit der unbedachten Bemerkung, Brandenburg habe ja keinen Bundesligaverein. Er dachte wohl an die Männer von Energie Cottbus, SV Babelsberg 03, Optik Rathenow, FSV Luckenwalde und Union Fürstenwalde, die alle nur in der Regionalliga ans Leder treten und vergaß die Frauen von Turbine Potsdam.
»Das ist ein Lapsus, das kannst du nicht erklären«, findet Ex-Trainer und Ehrenpräsident Schröder. Doch der 78-Jährige macht eine wegwerfende Geste. Präsident Kutzmutz nimmt es nicht so leicht. »Wenn du so eine Ansage hörst, es gibt in der Bundesliga keine Mannschaft aus Brandenburg – das ist natürlich ärgerlich«, sagt er. Kutzmutz will den Ministerpräsidenten zum nächsten Heimspiel einladen, um dessen Erinnerung aufzufrischen.
Auch die 1000-Zuschauer-Obergrenze ärgert Kutzmutz. Turbine, die fünf Regionalligisten und der Fußball-Landesverband haben gegen diese »existenzbedrohende Regelung« protestiert. Zwar kamen zu den Heimspielen von Turbine in normalen Zeiten lediglich 1500 Gäste. Doch laut Kutzmutz ist das der Grenzwert, ab dem der Verein mit den Eintrittsgeldern ein paar hundert Euro plus macht. Bei 1000 Zuschauern kostet die Bezahlung der Ticketverkäuferinnen, der Kartenabreißer und des Sicherheitspersonals mehr, als durch die Eintrittskarten eingenommen wird. Wirtschaftlich wäre es da besser, vor leeren Rängen zu spielen. Die Begegnung am Freitag zählte sogar nur 817 zahlende Zuschauer. Mancher Fan bleibe wegen der Corona-Beschränkung fern, weil er sich unsicher sei, was gilt und ob er überhaupt eingelassen wird, beklagt Kutzmutz.
Der Abgeordnete Görke meint, es sei Zeit für eine Öffnung. Kollege Hahn ergänzt: »Wir fordern vom DFB, aber auch von Bund, Ländern und Kommunen mehr Unterstützung des Frauen- und Mädchenfußballs. Dazu gehören die Bereitstellung von angemessenen Sportstätten für Training und Spielbetrieb, eine bessere Förderung von Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen, mehr Sendezeit in öffentlich-rechtlichen Medien sowie mehr Frauen in den Gremien der Fußballvereine und -verbände.«
Bei den Männern ist auch die dritte Liga noch eine Profiliga. Die Erstligisten von Turbine sind dagegen sogenannte Vertragsamateure. Was sie mit dem Fußball verdienen, genügt nicht, um sich allein dem Sport zu widmen. Sie machen das neben ihrem Studium oder ihrer Berufsausbildung.