Der Fußball ist eine moralfreie Zone

Der Fußball ist eine moralfreie Zone

In diesem Jahr haben die europäischen Profivereine fast vier Milliarden Euro für neue Spieler ausgegeben. Das ist nicht vertretbar, wenn vor unserer Haustür Krieg und bittere Armut herrschen.

Fast vier Milliarden Euro haben europäische Fußball-Ligen in diesem Jahr in neue Spieler investiert, schrieb kürzlich „Die Welt“. Die Ablösesummen könnten sich in den nächsten zehn Jahren sogar noch verdoppeln. In der Dreigroschenoper von Bertold Brecht heißt es: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Die entscheidende Frage lautet: Wie viel Moral kann oder muss sich die Wirtschaft und auch der Profisport heute noch leisten?

Moralische Werte sollten im Sport, wie auch in der Politik, das Maß der Dinge sein.

Ich meine: Genauso wenig, wie die Profitrate bzw. die Rendite in der Wirtschaft die einzig relevante Messgröße sein kann, darf die Zahl der Medaillen auch nicht die einzige Währung im Leistungssport sein. Darüber wird derzeit nach den Olympischen Spielen von Rio gerade heftig gestritten, wenn es um die künftige Förderung des Spitzensports durch den Bund geht. Wirtschaft, Sport und auch die Politik müssen deutlich mehr moralische Werte und Ziele anstreben, als das bisher der Fall ist, im Übrigen auch im eigenen Interesse. Im wirklichen Leben gehen die Tendenzen jedoch eher in die andere Richtung. Der Tanz ums „Goldene Kalb“ wird immer brutaler, immer gnadenloser.

Wer aber entscheidet eigentlich darüber, welcher finanzielle Erfolg wofür tatsächlich angemessen ist und welches Tun oder auch Unterlassen dafür noch oder auch nicht mehr vertretbar sind?

Vor knapp 26 Jahren, am 24.September 1988, lief Ben Johnson beim 100-Meter-Finale der Olympischen Spiele in Seoul mit Weltrekord allen davon. Zwei Tage später wurde er des Dopings überführt. Nach diversen weiteren Prüfungen waren am Ende von acht Startern wohl nur zwei sauber. Ein weiteres Stichwort: Tour de France. Beim Aufstieg zum Mont Ventoux bricht der britische Ex-Weltmeister Tom Simpson am 13. Juli 1967 zusammen und stirbt wenig später im Krankenhaus. Er war mit Amphetaminen vollgepumpt. Das berühmteste Radrennen der Welt hatte sein erstes Todesopfer in Folge von Doping. Viele weitere Doping-Skandale (Stichwort EPO)  folgten, auch mit Beteiligung deutscher Fahrer.

Im November 2009 meldeten die Medien „Betrugsverdacht bei 200 Spielen: Riesiger Wettskandal erschüttert Europas Profifußball“. Es kamen Schiebungen in der Champions League sowie Manipulationen in der 2. Bundesliga und in acht weiteren europäischen Ligen ans Licht.

Die heutigen Ablösesummen für Profispieler stehen in keinem Verhältnis zur Realität.

Am 31. August 2015 mahnte Armin Lehmann in einem Rundfunk-Kommentar auf WDR 2 mit Blick auf das Ende der diesjährigen Transfer-Periode der Fußball-Bundesliga: Geld frisst Fußball auf! Die Ablösesummen für einige Spieler sind inzwischen höher als die Kosten für ganze Stadien. Das ist Irrsinn, fand der Kommentator,  – und ich finde das auch!

Ich zitiere Armin Lehmann weiter: „80 Millionen Euro. Für etwa diese Summe wurde vor einigen Jahren der Borussia-Park in Mönchengladbach gebaut. Ein riesiges Stadion mit weit über 50.000 Zuschauerplätzen. Jetzt soll Manchester City in etwa so eine Summe … für einen einzigen Fußballer – nämlich Kevin De Bruyne – bezahlt haben.

 

Leider kein Einzelfall. Denn egal ob 30, 40 oder eben 80 Millionen, der Fußball ist mittlerweile in finanzielle Dimensionen vorgestoßen, die ihn auf Sicht zerstören werden.

Was ist das für eine Welt, in der ein paar Flugstunden von Manchester entfernt die Menschen nichts zu beißen haben, in der Krieg sowie bittere Armut herrschen und dann für einen Kicker derart unmoralische Summen bezahlt werden? Und England wird nur der Vorreiter sein. Auf der Insel haben sie unlängst einen Milliardenvertrag für Fußballfernsehrechte abgeschlossen, und dieser Vertrag wird in Europa – auch in Deutschland – der Maßstab für die Zukunft sein.

 

Keine schöne Zukunft, denn der Irrsinn dieser Tage ist erst der Anfang. Im nächsten Jahr liegt in England noch mehr Geld auf der grünen Wiese, und all die Kohle muss natürlich ausgegeben werden. Milliardäre und Scheichs bieten munter mit, und die 80 Millionen für einen begnadeten Kicker wie Kevin De Bruyne werden demnächst wohl auch für ganz normale Durchschnittsfußballer bezahlt werden könne. Doch irgendwann muss auch Schluss sein. Wenn ein Spieler schon teurer ist als das Stadion, in dem er spielt, dann läuft etwas gewaltig schief in den Arenen dieser Welt.“

Die einzige Hoffnung besteht darin, dass die große Fußball-Finanzblase bald platzt.

Eine einfache Lösung habe ich leider auch nicht. Aber durchaus eine Hoffnung! In der freien Marktwirtschaft hat es bekanntlich schon manche Finanzblase gegeben, die sich prall füllte, aber irgendwann ist sie dann doch geplatzt und wahnwitzige Dimensionen wurden wieder zurechtgerückt. Es war ein geschäftiger Tag, so schrieb die Nachrichtenagentur dpa am so genannten „Deadline-Day“ der Transferperiode im Jahr 2015. Am Ende hat die englische Premier League mit Ausgaben von sage und schreibe rund 1,2 Milliarden Euro einen neuen Transfer-Rekord aufgestellt. Teuerster Einkauf war der bereits erwähnte Kevin De Bruyne, der für knapp 75 Millionen Euro vom VfL Wolfsburg zu Manchester City wechselte. Allein City gab insgesamt 218 Millionen Euro für neue Profis aus. Die 18 Vereine der Bundesliga investierten 2015 insgesamt „nur“ 395 Millionen Euro. In diesem Jahr war es schon mehr als eine halbe Milliarden Euro.

Auch in Deutschland gibt es Vereine mit viel Geld, die die besten Spieler anderer Mannschaften kaufen, um sie sich auf die Ersatzbank zu setzen, um dadurch in jedem Fall potenzielle Konkurrenten nachhaltig schwächen. Ich meine, so kann und darf es nicht weitergehen. Dabei habe ich die Stichworte IOC, FIFA und Vergabepraxis von Sportgroßereignissen wie nach Katar noch gar nicht erwähnt.

Es wäre wünschenswert, dass alle ihren Beitrag dazu leisten, dass die Moral weder in der Wirtschaft, noch in der Politik und schon gar nicht im Sport zu Grabe getragen werden muss. Noch ist es nicht zu spät!

Quelle: causa.tagesspiegel.de, 13.09.2016