Erwiderung auf die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thema „Freiheit, Verantwortung, Solidarität“
Es gilt das gesprochene Wort!
Manchmal verraten schon Überschriften eine ganze Menge. Seine erste Regierungserklärung nach der Wahl zum Ministerpräsidenten stellte Stanislaw Tillich unter das Motto: „Arbeit, Bildung, Solidarität“. Das war gut ein Jahr vor den Landtagswahlen und in einer Situation, als er noch auf den damaligen Koalitionspartner SPD Rücksicht nehmen musste.
Jetzt sind die Wahlen vorbei und statt den Sozialdemokraten sitzt nun die FDP mit in der
Regierung. Die heutige Regierungserklärung trägt den Titel: „Freiheit, Verantwortung,
Solidarität“.
Arbeit und Bildung haben für die neue Koalition offenbar keinen zentralen Stellenwert mehr, auch wenn sich der Ministerpräsident in seiner Rede bemühte, einen anderen Eindruck zu erwecken. Ein Blick in den Text der im Schweinsgalopp zusammengeschusterten Koalitionsvereinbarung zeigt jedoch: Konkrete Aussagen zur Arbeitsmarktpolitik finden sich kaum, und bei der Bildung soll das einzig Innovative der letzten Wahlperiode, die Gemeinschaftsschule, schon nach wenigen Jahren wieder beerdigt werden.
Stattdessen liegt die Betonung nun auf Freiheit und Verantwortung. Da kommen ganz
zwangsläufig Fragen auf: Freiheit für alle oder Freiheit für alle, die es sich leisten können?
Freiheit von Armut oder Freiheit von sozialer Gerechtigkeit? Freiheit für mehr
Bürgermitbestimmung oder Freiheit für die Einschränkung von Bürgerrechten und
Bildungschancen?
Im Koalitionsvertrag bleibt vieles nebulös, auch zum Stichwort Verantwortung. Gibt es eine Verantwortung des Staates für das Allgemeinwohl und eine Verantwortung des einzelnen für die Gemeinschaft oder ist jeder vor allem für sich selbst verantwortlich? Letzteres hat bekanntlich vor allem die FDP immer wieder propagiert, und das soll nun offenbar auch Grundlage der künftigen Regierungspolitik werden.
Bevor ich ins Detail gehe, zunächst noch eine Vorbemerkung:
Die Beschäftigung mit dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag war – offen gesagt – eine
Zumutung, und zwar sowohl in sprachlicher als vor allem auch in inhaltlicher Hinsicht. Die
Substanzlosigkeit der Vereinbarung zwischen CDU und FDP ist wirklich kaum zu unterbieten.
Die Verhandlungspartner hatten dabei offenkundig nur eine einzige Devise: So unkonkret wie irgend möglich. Wenn man das sächsische Papier einmal mit den wesentlich gehaltvolleren Koalitionsverträgen in Thüringen und in Brandenburg vergleicht, zeigt sich, wie oberflächlich die sächsischen Koalitionäre gearbeitet haben.
Schlechtes Deutsch und ein Sammelsurium unverbindlicher Absichtserklärungen – so lässt
sich die Koalitionsvereinbarung auf einen kurzen Nenner bringen.
Die allgegenwärtige Oberflächlichkeit führt dann bisweilen auch zu unfreiwilliger Komik. Ich
will nur zwei Beispiele nennen:
So heißt es etwa in der Präambel, CDU und FDP wollen das Land – so wörtlich – „langfristig wieder dorthin führen, wo es Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal stand“.
Mit anderen Worten: Der Freistaat hat seine Zukunft bereits hinter sich, vorwärts in die
Vergangenheit! Wahrhaft schöne Aussichten sind das.
Herr Ministerpräsident: Sachsen braucht kein Zurück in die Anfänge des vorigen Jahrhunderts, sondern braucht Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft und braucht eine ebenso verantwortungsvolle wie nachhaltige Politik.
Die aber sucht man im Koalitionsvertrag von CDU und FDP vergeblich.
Das zweite Beispiel: Auf Vorschlag des FDP-Vorsitzenden soll Sachsen ein „Nationalmuseum“
bekommen. Nun mag die Staatsregierung so viele Museen errichten oder einrichten können, wie sie will, aber ein Nationalmuseum wird ganz sicher nicht darunter sein. Das ist objektiv ausgeschlossen. Es sei denn, die Koalitionäre erklären die Sachsen wider alle Vernunft zu einer Nation. Dann könnte die Staatsregierung auch gleich die nationale Selbstbestimmung der Sachsen fordern. Absurder geht es wirklich kaum.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, für eine Mehrheit der Menschen in unserem Land
ist soziale Gerechtigkeit ein hohes Gut, für viele ist es sogar der Maßstab für die Bewertung einer Gesellschaft.
Es ist bezeichnend, dass das Soziale weder 2008 in der ersten Regierungserklärung des
damals neu gewählten Ministerpräsidenten noch im Titel seiner heutigen Regierungserklärung eine wichtige Rolle spielte. Was für CDU und FDP offenkundig nebensächlich ist, ist für DIE LINKE eine der zentralen Grundfragen unserer Zeit.
Die neue sächsische Regierung jedoch setzt den CDU-Kurs auf Absenkung sozialer Standards, auf Abschiebung der Verantwortung für soziale Daseinsvorsorge an die Kommunen und die Privatisierung wesentlicher sozialer Kernaufgaben fort. Ich kann aus Zeitgründen heute nur auf einige wenige Aspekte eingehen.
In den letzten Jahren hat der Anteil der Menschen im Freistaat, die offiziell als arm gelten,
erheblich zugenommen und liegt inzwischen mindestens bei einem Fünftel. Die Kinderarmut
liegt sogar schon bei mehr als 25 Prozent, und auch die Altersarmut wird künftig erheblich
ansteigen. Zu diesen skandalösen Zuständen schweigt der Ministerpräsident – zu schwierigen Themen hat er ja nie eine Meinung. Armut ist in Sachsen schon lange keine Randerscheinung mehr und insbesondere die Betroffenen hätten erwarten können, dass Herr Tillich wenigstens in Ansätzen auf ihre Sorgen und Nöte eingegangen wäre.
Eng mit der Armutsproblematik hängt zusammen, wie sich die Staatsregierung zu Hartz IV
stellt. In der Koalitionsvereinbarung finden sich dazu keinerlei verwertbare Aussagen, die den mehr als 500.000 von Hartz IV Betroffenen in Sachsen wenigstens ein Stück Hoffnung geben könnten. Auch wir sind dafür, dass Menschen, die dazu in der Lage sind, durch Arbeit für ihre Existenz sorgen sollen.
Aber es muss sich um Arbeit handeln, von der man auch vernünftig leben kann. Das setzt aus unserer Sicht einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn oberhalb der Armutsgrenze voraus. Es bleibt ein Skandal, dass ca. 130.000 Menschen in Sachsen trotz Arbeitstätigkeit zu den so genannten Aufstockern gehören. Wir bleiben dabei: Hartz IV ist Armut per Gesetz und gehört daher überwunden. Vielleicht schließt sich endlich auch die SPD dieser Forderung an und korrigiert damit ihre Fehler der letzten Jahre.
Von der Staatsregierung erwarten wir, dass sie sich konsequent zumindest für die
Beibehaltung des Zuschusses des Bundes für Kosten der Unterkunft einsetzt und zugleich
prüft, welche rechtlichen Möglichkeiten gegen den Bund gegeben sind.
Nach Berechnungen des Städte- und Gemeindetages würde die beabsichtigte Senkung des Bundeszuschusses allein im nächsten Jahr für die sächsischen Kommunen ein zusätzliches Minus im Haushalt von etwa 100 Millionen Euro bedeuten. Hinzu kommen riesige Steuerausfälle infolge der Wirtschaftskrise. Handeln Sie endlich, Herr Tillich, und lassen Sie die Kommunen nicht erneut im Regen stehen!
Sachsen will, so das Postulat der neuen Staatsregierung, zum kinderfreundlichsten
Bundesland werden. Davon jedoch sind wir weit entfernt. Die derzeit gewährte
Jugendpauschale ist viel zu niedrig. Die LINKE fordert gemeinsam mit einer Reihe von
Wohlfahrtsverbänden endlich eine Kindergrundsicherung. Bis zu deren Einführung erwarten
wir von der Staatsregierung wenigstens, dass sie sich im Bundesrat dafür einsetzt, dass Hartz-IV-Familien nicht erneut von der beabsichtigten Anhebung des Kindergeldes ausgeschlossen werden. Es muss endlich Schluss sein mit einer Mehrklassengesellschaft bei der Förderung der Kinder.
Ziemlich ausführlich befasst sich der Koalitionsvertrag mit dem Gesundheitswesen. Die FDP hatte ja die Überwindung des Ärztemangels in der vergangenen Legislaturperiode zu einem ihrer Schwerpunkte erklärt und hier im Landtag wirklich gut gebrüllt. Inzwischen sind die Liberalen abgetaucht. Angesichts ihrer bundespolitischen Pläne ist das vielleicht sogar gut so.
Wir als LINKE sind im Gegensatz zur FDP prinzipiell gegen eine einheitliche Kopfpauschale,
gegen einen weiteren Ausstieg der Arbeitgeber aus dem Solidarprinzip und gegen eine
Bevorzugung der Privatkassen. Wir fordern weiterhin die solidarische Bürgerversicherung und die Bildung einer gesetzlichen Krankenkasse für alle Bürgerinnen und Bürger.
Regelrecht beschämend sind die Aussagen der Koalition zum Umgang mit älteren und
behinderten Menschen. Das gilt im Übrigen auch für die Abhandlungen zum demografischen Wandel. Dafür einen Beauftragten einzusetzen, geht nicht einmal als Feigenblatt durch.
Wir als LINKE fordern stattdessen, endlich ein Seniorenmitwirkungsgesetz zu verabschieden, ein wirkliches Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen auf den Weg zu bringen und auch ein neues Landesgesetz für die Altenpflege.
Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP gibt es lediglich einen einzigen Passus zur
Gleichstellung von Frau und Mann, obwohl noch immer viele Frauen hierzulande benachteiligt sind. Bei Kurt Biedenkopf gab noch es ein eigenes Gleichstellungsministerium – heute sind ganze zwei Sätze in der Vereinbarung übrig geblieben. Ich finde das völlig inakzeptabel.
Über den Umstand, dass der Verbraucherschutz dem Sozialministerium zugeteilt wurde, kann man sicher unterschiedlicher Meinung sein. Wir erwarten jedoch von der Staatsregierung dringend ein Gesamtkonzept zum Verbraucherschutz, aus dem dann alsbald auch die notwendigen landesgesetzlichen Regelungen erwachsen müssen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, Wer einmal versucht, im Koalitionsvertrag ein
politisches Vorhaben oder Gesellschaftsprojekt der Koalitionäre ausfindig zu machen, der wird allenfalls die Konturen einer „unpolitischen Wirtschaftsgesellschaft“ herauslesen. Die
Betonung liegt dabei auf unpolitisch.
Die in Umrissen im Koalitionsvertrag skizzierte Wirtschaftsgesellschaft ist deshalb eine
unpolitische, weil sie politische Gestaltungsmacht mit Wirtschaftsmacht verwechselt.
Das Ziel ist nicht die Stärkung der demokratischen Selbstbestimmung der Bürgerinnen und
Bürger, sondern allein die Festigung der Wirtschaftsmacht. Dem privaten Vorteil gebührt in der Wirtschaftsgesellschaft Vorrang vor dem Wohl der Allgemeinheit.
Der Ministerpräsident nennt das „Freiheit zum eigenen Erfolg“. Das Allgemeinwohl ist aber
eben nicht bloß die Summe aller Einzelinteressen. Zudem wird dabei ausgeblendet, dass
nicht zuletzt die Politik der Deregulierung in die Wirtschafts- und Finanzkrise geführt hat. Herr Tillich hat zwar in seiner Rede heute erklärt, dass wir weltweit gültige Regeln für die
Finanzmärkte brauchen, dann aber wieder auf die Bundesebene verwiesen. Kein Wort zu
eigenen sächsischen Initiativen, zum Beispiel über den Bundesrat.
Deregulierungspolitik, um das kurz zusammen zu fassen, meint Freiheit von Leistung und
Stärke. „Denen, die Leistung bringen wollen“, hat der Ministerpräsident bei der
Amtsübernahme im Mai 2008 verlauten lassen, müsse der entsprechende Spielraum gelassen werden, um „ihre Freiheit zum eigenen Erfolg zu nutzen“. Für die angeblich
Leistungsunwilligen falle dann noch genügend ab.
Jüngst, in einem Interview mit der „Sächsischen Zeitung“ vom 30. Oktober, bekräftigt der MP seine Auffassung noch einmal. Ich zitiere:
„Freiheit bedeutet auch, dass sich Leistung lohnen muss. Wer sich anstrengt, der muss auch das Gefühl haben, dass er mit dieser Leistung etwas anfangen kann. Er darf nicht das Gefühl haben, dass ihm das, was das Mehr an Leistung erbracht hat, wieder weggenommen wird. Nur wenn viele bereit sind, mehr zu leisten als der Durchschnitt, kann eine Gesellschaft auch solidarisch sein.“
Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass die Einteilung der Menschen in Leistungswillige und Leistungsunwillige alles andere als christlich ist. Sie entspricht zudem nicht der Wirklichkeit hierzulande.
In einer Gesellschaft, in der soziales und kulturelles Kapital vererbt werden, ein fairer
Leistungswettbewerb ein Wunschtraum ist, kann von Aufstieg durch Leistung keine Rede sein.
Und wer dennoch von Leistungsunwilligen spricht, der moralisiert soziale Konflikte.
Diejenigen, die schon unten sind, werden auch noch stigmatisiert.
Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Pläne der Koalition im Bildungsbereich
ansieht. Das ist im Übrigen auch jenes Politikfeld, in dem die FDP ihre Wahlversprechen am
skrupellosesten gebrochen hat.
Die Liste der nicht erfüllten Zusagen ist lang: Weder das längere gemeinsame Lernen bis
Klasse 6, noch die Gründung neuer Gemeinschaftsschulen oder auch der
jahrgangsübergreifende Unterricht an Grund- und Mittelschulen finden sich im
Koalitionsvertrag. Kein Wort mehr von der ursprünglich geforderten Möglichkeit der Zulassung einzügiger Mittelschulen und zweizügiger Gymnasien sowie einer Verkürzung der Wartefrist für Schulen in freier Trägerschaft.
Auch künftig gibt es – anders als versprochen – keine freie Schulwahl im Grundschulbereich, keine Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen, keine Lehrereinstellung durch die Kommunen und keine Integration von Schülern mit besonderem Förderbedarf.
Wir teilen nicht alle dieser Forderungen, aber Fakt ist: All das und noch viel mehr hatte die FDP versprochen. Doch all das ist nichts mehr wert, wenn man die Chance sieht, an die Fleischtöpfe der Macht zu gelangen. Im Wahlkampf haben Sie plakatiert „Wir halten Wort!“.
Nein, meine Damen und Herren von der FDP, Sie brechen Wort, das ist die Wahrheit.
Und dabei werfen Sie sogar urliberale Positionen über Bord wie bei der geplanten massiven
Einschränkung des Versammlungsrechts. Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass so etwas mit einem FDP-Justizminister möglich ist, und bin von Herrn Martens auch persönlich sehr enttäuscht.
Aber zurück zum Bildungsbereich. Eine Systematik, eine rote Linie der neuen Regierung ist in der Koalitionsvereinbarung beim besten Willen nicht zu erkennen. Zudem werden wichtige Partner der Politik völlig ausgeblendet. So findet sich im gesamten Vertrag das Wort „Gewerkschaften“ nicht ein einziges Mal. Und es ist ja auch nicht verwunderlich, dass CDU und FDP mit Interessenvertretungen der Beschäftigten nicht viel zu tun haben wollen, wenn man sich die Pläne der Koalition zum Personalabbau im Öffentlichen Dienst ansieht.
Der Ministerpräsident hat aber einmal mehr nicht den Mut zu klaren und vor allem ehrlichen Aussagen. In seiner heutigen Erklärung heißt es lapidar und unscheinbar: „70.000 Beschäftigte im gesamten Öffentlichen Dienst des Landes sollen effektiv und effizient gestalten und verwalten.“
Derzeit haben wir ca. 88.000 Bedienstete auf Landesebene. Tillichs Aussage bedeutet also im Klartext, dass fast jeder vierte Arbeitsplatz künftig wegfallen soll. Hier ist deutlich Widerstand angesagt.
Das fängt bei der Polizei an, wo über weitere 2.400 Stellen gestrichen werden sollen. Mit Blick auf die innere Sicherheit, die Kriminalitätsbekämpfung und die Präsenz von Polizeibeamten vor Ort, nicht zuletzt in Grenzgebieten, hält DIE LINKE derartige Pläne für absolut unverantwortlich. Und den Lehrerbereich droht es noch schlimmer zu treffen.
Hier waren schon bisher für die nächsten sieben Jahre 2.717 Stellenstreichungen vorgesehen, davon allein 581 an Grundschulen.
Im Koalitionsvertrag heißt es dazu nun: „Ziel ist ein Öffentlicher Dienst in Sachsen, der in
seiner Personalbemessung dem Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer
entspricht.“
Da Sachsen in der Schüler-Lehrerrelation bundesweit relativ gut dasteht, bedeutet die
Anpassung an den Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer letztlich einen weiteren
drastischen Personalabbau an den sächsischen Schulen. Schon mit dem jetzt vorhandenen Personal kann der Grund- und vor allem der Ergänzungsbereich nicht abgedeckt werden. Wenn noch mehr Lehrerstellen wegfallen, ist die Unterrichtsversorgung massiv gefährdet und die im Koalitionsvertrag angekündigte Qualitätsverbesserung völlig illusorisch.
Wir fordern daher eine eindeutige Aussage des Ministerpräsidenten, dass der Schulbereich
vom Stellenabbaukonzept ausgenommen wird.
Es ist im Übrigen ein Hohn, wenn der Ministerpräsident vorhin erklärt hat, dass Schulsystem solle noch durchlässiger werden.
Es war und es ist nicht durchlässig, denn die Übergangsquote von der Mittelschule zum
Gymnasium liegt seit Jahren weit unter einem Prozent. Die von Herrn Tillich angekündigte
Aufwertung der Mittelschule zur Oberschule ist blanker Etikettenschwindel, und wenn von
einer individuellen Förderung in Leistungsgruppen der Klassen 5 und 6 gesprochen wird, dann bedeutet das im Klartext die Einführung der Hauptschule ab Klasse 5. Das lehnen wir als LINKE entschieden ab!
Besonders ausgeprägt ist der Trend zur Deregulierung im Hochschulbereich. Die angekündigte Änderung des Hochschulgesetzes wird die staatliche Verantwortung für die Hochschulen weiter reduzieren. Dafür werden Studiengebühren für Langzeitstudierende erhoben und hauseigene Tarifverträge angekündigt.
Die Aussagen zur Hochschulpolitik lassen im Kern eine Ökonomisierung der Hochschule
erwarten. Die Hochschule wird zu einer „Vorfeldagentur der Industrie“. Favorisiert werden die „industrietauglichen“, „anwendungsorientierten“ Fächer. Von Geisteswissenschaften ist keine Rede. Das Wissenschafts- und Hochschulsystem bedarf jedoch keiner an Deregulierung und Privatisierung ausgerichteten Globalisierung, sondern einer internationalen Öffnung, Vernetzung und Kommunikation, die den Zugang zu Bildung und Wissen im globalen Maßstab eröffnet und die nationalen Grenzen des wissenschaftlichen Erkenntnis- und Bildungsprozesses überwindet.
Doch internationale Öffnung und globales Denken ist offenkundig nicht die Stärke von
schwarz-gelb. Das zeigt sich auch im Kulturbereich.
Die Kritik an diesem Teil des Koalitionsvertrages fiel unter den Kulturakteuren einhellig und
deutlich aus. Das ist ein Novum. Bislang galt die sächsische Kulturpolitik als wenig umstritten.
Von einer allgemeinen Kunst- und Kulturförderung ist nun plötzlich aber überhaupt keine
Rede.
Die überfällige Novellierung des Gedenkstättengesetzes lässt weiter auf sich warten wie
ohnehin im Koalitionsvertrag eindeutige Aussagen zu Maßnahmen für die Bekämpfung des
Rechtsextremismus fehlen.
Es ist sicher nicht Aufgabe der Opposition, die Regierung zu loben. Das tut sie selbst schon genug und meistens ohne Grund. Aber wenn ich mir einige konkrete Vorhaben im
Wirtschaftsbereich ansehe, komme ich nicht umhin festzustellen, dass sie in die richtige
Richtung gehen, wenn ich zum Beispiel an die Einführung revolvierender Fonds bei der
Fördermittelvergabe, die Ausgabe von Innovationsgutscheinen oder auch die gezielte
Förderung von Forschung und Entwicklung denke.
All das finden Sie im Wahlprogramm der LINKEN, beschlossen im April dieses Jahres. Wenn
CDU und FDP das jetzt umsetzen, werden wir uns nicht beschweren.
Wenn man jedoch ins Detail geht, werden auch hier Defizite sichtbar. Zum Beispiel gibt es zum Thema Informationstechnologien kaum Aussagen, wenn man mal von der angekündigten Breitbandoffensive absieht. Die allerdings ist auch dringend nötig, denn beim schnellen Internet liegt Sachsen noch immer an drittletzter Stelle in Deutschland. Das hat der Ministerpräsident wohlweislich verschwiegen.
Weitgehend vage sind auch die Aussagen im Koalitionsvertrag zu den wichtigen Themen
Umwelt und Landesentwicklung. Über diese Fragen werden wir im Zusammenhang mit der
notwendigen Fortschreibung des Landesentwicklungsplanes in dieser Legislatur noch
ausführlich diskutieren können.
Es ist allerdings schon bezeichnend, dass der Begriff Klimawandel in der Vereinbarung der
Koalitionäre nicht ein einziges Mal auftaucht. Die Nachhaltigkeit wird zwar zu einem Leitbild erklärt, aber nicht wirklich untersetzt. Umwelt wird zuerst als Wirtschaftsfaktor gesehen, kaum als Wert an sich. Energiemix in der Energieproduktion heißt bei CDU und FDP:
Braunkohleverstromung bleibt die Hauptsäule.
Der Anteil an erneuerbaren Energien soll sich nur auf 24 % erhöhen.
Bei unseren Koalitionsverhandlungen in Brandenburg haben wir uns im Umweltschutz als
LINKE zwar nicht in allen Punkten durchsetzen können, aber eines haben wir doch erreicht.
Dort wurde ein klarer Vorrang für erneuerbare Energien festgeschrieben. Eine solche
Vorrangregelung brauchen wir dringend auch für Sachsen.
Abschließend noch einige Bemerkungen zum Thema Finanzen.
Im Koalitionsvertrag herrscht – bis auf wenige Ausnahmen – Fehlanzeige bei konkreten
Zielsetzungen und Maßnahmen. Dieses Herangehen kann zwei Ursachen haben, entweder
fehlende fachliche Kompetenz – insbesondere bei den liberalen Teilzeitparlamentariern, oder man hat eine gewisse „Abrechnungsvorsorge“ betrieben, so dass die Nichterfüllung
butterweicher Inhalte später nur schlecht nachgewiesen werden kann.
Seit der Mai-Steuerschätzung 2009 wissen Sie um die milliardenschweren Einnahmenverluste, die uns im Zeitraum 2009-2010 belasten werden. Seit diesem Zeitpunkt bedarf es einer Korrektur des Doppelhaushaltes durch einen Nachtragshaushalt. Bis heute liegt dieser nicht vor und die Staatsregierung ignoriert dabei selbst ein Urteil des höchsten Gerichtes des Landes, welches der Staatsregierung und Herrn Tillich persönlich im Zusammenhang mit dem Notverkauf der Sachsen LB einen glatten Verfassungsbruch attestiert hatte.
Wir haben ja dazu heute auch noch einen Antrag der LINKEN auf der Tagesordnung. Für uns steht fest: CDU und FDP haben schon für das erste Jahr Ihrer Regierungszeit keine
Haushaltsdeckung.
Dennoch beabsichtigen die Koalitionäre offenbar, die sinkenden Einnahmen am Parlament
vorbei den Ausgaben anzupassen. Damit hat sich die Staatsregierung geoutet, wie ihr
Verständnis zum Umgang zwischen Regierung und Parlament aussieht. Dieser Umgang
widerspricht eklatant dem, was Bundestagspräsident Norbert Lammert zur Konstituierung des Bundestages am 27. Oktober 2009 einforderte. Er sagte «Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament bestimmt und kontrolliert die Regierung.»
Dass es die CDU-Fraktion seit 1990 weder gelernt noch begriffen hat, die jeweilige Regierung zu kontrollieren, ist bekannt. Dass die so genannte Rechtsstaatspartei FDP, die sich gern als die wahre Hüterin der Verfassung aufspielt, sich im Koalitionszug mit der CDU vom ersten Tag der Regierungsverantwortung an auf das gleiche Niveau begibt, ist entlarvend. Einen positiven Effekt gab es dann aber doch noch bei der Regierungsbildung: Herr Zastrow hat am Ende selbst eingesehen, dass er nicht zum Minister taugt. So ist uns wenigstens das erspart geblieben.
Herr Ministerpräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, DIE LINKE wird in der vor
uns liegenden Legislaturperiode eine harte Opposition sein, wir werden das
Regierungshandeln kontrollieren sowie zugleich alternative Politikangebote auf den Tisch
legen und wir sind zu konstruktiver Zusammenarbeit mit allen demokratischen Fraktionen
bereit. Und wir als LINKE werden dafür sorgen, dass das Soziale in Sachsen nicht völlig unter die Räder kommt.
Die Wählerinnen und Wähler haben am 30. August entschieden. Das respektieren wir. Zugleich aber werden wir alles dafür tun, dass Schwarz-Gelb nur eine kurze Episode in der Geschichte unseres schönen Landes bleibt.