Erwiderung auf Erklärung des Innenministers „Information des Staatsministers des Innern zum Sachstand zum ,Nationalsozialistischen Untergrund’“

Es gilt das gesprochene Wort!

Auch für meine Fraktion möchte ich das Gedenken an die Opfer des braunen Terrors an den Beginn meiner Rede stellen.

Die Hinterbliebenen der Ermordeten sowie die Verletzten und ihre Angehörigen haben unser tiefes Mitgefühl, brauchen unsere Unterstützung und – wie ich finde – auch das Versprechen, dass wir alles tun werden, um die begangenen Gewalttaten rückhaltlos aufzuklären.

Politisch und rassistisch motivierte Gewalttaten gab und gibt es leider auch hier bei uns in Sachsen. Es begann 1991 mit Jorge Gomondai und endete erst im Mai 2011mit dem Obdachlosen André K., der in Oschatz zu Tode geprügelt wurde.

Insgesamt wurden in dieser Zeit 14 Menschen durch rechte Gewalt ermordet.

Bis heute jedoch verweigert die Staatsregierung bei der Hälfte der Fälle die offizielle Anerkennung als politisch motivierte rechte Gewalttaten. Ich erinnere an die Betroffenen: Klaus R. wurde von Skinheads in Leipzig erschlagen, Bernd G. und Achmed Bachir wurden in Leipzig von Nazis erstochen, Patrick Thürmer wurde in Hohenstein-Ernstthal von Nazi-Skins überfallen und erlitt tödliche Kopfverletzungen. Der Obdachlose Bernd Schmidt wird in Weißwasser von rechten Jugendlichen drei Tage lang gequält und stirbt dann an seinen schweren Verletzungen. Karl-Heinz Teichmann, ebenfalls obdachlos, wird in Leipzig von Rechtsradikalen brutal zusammengeschlagen, erleidet Brüche im Gesicht, eine Halswirbelfraktur sowie Hirnblutungen und stirbt zwei Wochen nach der Tat. André K. aus Oschatz hatte ich schon genannt.

Ich finde, diesen Menschen muss wenigstens im Nachhinein Gerechtigkeit wiederfahren und der Respekt gegenüber den Getöteten gebietet es, dass sie endlich als Opfer rechter Gewalt in Sachsen anerkannt werden.

Und natürlich müssen die Täter mit aller Entschiedenheit verfolgt und verurteilt werden. Doch genau daran bestehen in diesen Tagen erhebliche Zweifel, nachdem die Existenz der rechten Terrorgruppe aus Zwickau bekannt wurde, die von Sachsen aus mehr als ein Jahrzehnt ungehindert ihr mörderisches Unwesen treiben konnte.

Bundesinnenminister Friedrich (CSU) hat den Sicherheitsbehörden im Bund sowie in einzelnen Ländern am Wochenende gravierende Fehler vorgeworfen. Wörtlich erklärte er: „Es sieht so aus, als ob einige Behörden kläglich versagt haben.“

Bundesjustizministerin Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) sprach von einer nicht hinnehmbaren „Pannenserie“ bei der Aufklärung und Verfolgung rechtsterroristischer Netzwerke in Deutschland.

Ich verweise ganz bewusst auf diese beiden Aussagen, damit nicht nachfolgend Redner der Koalition wieder einmal in althergebrachte Rituale verfallen und die Opposition beschimpfen, wenn sie das Tun oder auch das Unterlassen von Sicherheitsbehörden in diesem Lande kritisieren. Und dass diese Kritik bitter nötig ist, wird in diesem Haus wohl hoffentlich niemand ernsthaft bestreiten.

Die Generalbundesanwaltschaft und alle Ermittlungsbeamten haben natürlich die volle Unterstützung der LINKEN, wenn sie jetzt versuchen, die Verbrechen der Terroristen endlich und möglichst vollständig aufzuklären sowie deren Unterstützer zu finden.

Rückhaltlose Aufklärung bedeutet in meinen Augen aber auch Aufklärung der Rolle der Geheimdienste und Ermittlungsbehörden auf Bundes- und Länderebene. Wer versagt hat, muss selbstverständlich zur Verantwortung gezogen werden!

Und noch etwas: Ich empfinde es als regelrecht beklemmend , wenn in Polizei- oder Justizberichten oder auch in den Medien immer wieder von den so genannten Döner-Morden die Rede ist. Es waren nicht Döner, es waren Menschen, die von Nazis ermordet worden sind. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein!

Die heutige Debatte hier im Landtag ist ohne Zweifel notwendig, und ich bin dem Innenminister durchaus dankbar für seine Ausführungen, auch wenn noch viele Fragen offen geblieben sind.

So zum Beispiel auch die Frage, warum denn der Ministerpräsident, der so gern als Landesvater auftreten möchte, es wieder einmal vorzieht, zu schweigen, anstatt hier im Parlament klar Position zu beziehen. Und was er gestern vor der Presse gesagt hat, war nicht nur verspätet, sondern auch überaus halbherzig. Frau Lieberknecht in Thüringen hat da ein ganz anderes Format gezeigt.

Aber es gibt natürlich ohne Zweifel deutlich wichtigere Fragen:

Wie ist es möglich, dass ein Verbrecher-Trio aus Thüringen, das per Haftbefehl bundesweit gesucht wird, über mehr als ein Jahrzehnt in Sachsen untertauchen kann, ohne dass weder die hiesige Polizei, noch der Staatsschutz oder auch der Verfassungsschutz davon irgendeine Kenntnis erlangten?

Hatten eine oder mehrere Personen des Nazis-Trios oder aus dessen Unterstützerkreis Kontakte zum Verfassungsschutz des Bundes oder der Länder oder waren gar als bezahlte V-Leute tätig?

Was ist dran an den Berichten verschiedener Medien, dass Zielfahnder aus Thüringen die per Haftbefehl Gesuchten bereits im Jahr 2000 oder 2001 in Chemnitz aufspürten und verhaften wollten, der Zugriff von einer übergeordneten Stelle aber untersagt wurde?

Die bisherigen Dementis waren wenig überzeugend, und Fakt ist: Wenn das mörderische Trio damals festgenommen worden wäre, hätten viele Menschenleben gerettet werden können.

Wie kann es sein, dass sich ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes womöglich mehrfach, mindestens aber bei einem Mord, unmittelbar am Tatort aufgehalten hat? Wie kann es sein, dass in den letzten zehn Jahren in den Verfassungsschutzberichten des Bundes immer wieder behauptet wurde, rechtsterroristische Strukturen seien in Deutschland nicht feststellbar?

Und schließlich: Wozu braucht man derartige Geheimdienststrukturen, wozu braucht man vom Staat bezahlte V-Leute, wenn sie solche zum Teil ja wohl langfristig geplanten Gewalttaten wie die des Zwickauer Nazi-Trios offenbar weder aufdecken, geschweige denn verhindern können?

Wir kommen nicht umhin, heute auch über das gesellschaftliche Umfeld in Sachsen zu reden, über ein Klima der Verharmlosung rechtsradikaler und neofaschistischer Aktivitäten, durch das der Boden bereitet wurde, auf dem die schrecklichen Taten der Zwickauer Terrorgruppe geschehen konnten.

Vor zwanzig Jahren gab es die Angriffe auf das Asylbewerberheim in Hoyerswerda.

Der auf Initiative des damaligen Landtagspräsidenten Erich Iltgen eingerichtete Runde Tisch unterbreitete viele vernünftige Vorschläge für den Umgang mit fremdenfeindlichen und rassistischen Tendenzen.

Die damalige CDU-Alleinregierung hat trotz zahlreicher Mahnungen und diverser Anträge der Opposition nahezu nichts davon umgesetzt.

Dann gab es einen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der hier im Landtag behauptete, die Sachsen seien immun gegen Rechts. Was für eine absurde Fehleinschätzung!

Ich kann mich noch gut an die Bundestagswahlen des Jahres 1998 erinnern. In meiner Region, der Sächsischen Schweiz, kamen die damals noch gegeneinander antretenden Parteien der extremen Rechten, also NPD, DVU und Republikaner für sich allein zwar kaum über fünf Prozent, zusammen aber erreichten sie in fast allen Städten und Gemeinden zweistellige Ergebnisse.

Als ich dies im Kreistag thematisierte, wurde ich vor allem aus konservativen Kreisen als „Nestbeschmutzer“ beschimpft. Es würde dem Tourismus schaden, wenn solche Dinge öffentlich thematisiert würden.

Mit den Skinheads Sächsische Schweiz entstand fast zwangsläufig eine der ersten offenkundig gewalttätigen Nazi-Organisationen mit engsten Kontakten zur NPD. Die SSS wurde später zu Recht verboten, bei der strafrechtlichen Verfolgung gab es jedoch zahlreiche Pannen. Um die Verfahren schnell zu Ende zu bringen, wurde den ersten Angeklagten ein Deal angeboten. Wenn sie ihre Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung zugeben, werde es lediglich Bewährungsstrafen geben. So geschah es dann auch.

Als später die Anführer der SSS vor Gericht standen, wurden die im ersten Verfahren Verurteilten als Zeugen gehört. Diese widerriefen jedoch ihre ursprünglichen Aussagen, die damals mit Blick auf die angebotene geringere Strafe erfolgt seien. Jetzt in ihrer Eigenschaft als Zeugen müssten sie jedoch die Wahrheit sagen, und natürlich seien die Skinheads Sächsische Schweiz zu keinem Zeitpunkt eine kriminelle Vereinigung gewesen. Die Haupttäter kamen daraufhin mit vergleichweise milden Strafen davon.

Ähnliches ließe sich hier zur inzwischen ebenfalls verbotenen Nazi-Gruppierung „Sturm 34“ sagen. Aus Zeitgründen verzichte ich darauf.

Im letzten Sommer bekam ich eine Mail von einer Familie aus Berlin.

Sie wolle gern in der Sächsischen Schweiz Urlaub machen, hätte aber bei einem früheren Besuch in Pirna schon negative Erfahrungen mit Nazis gemacht und bitte mich daher darum, ihnen einen Ort in der Region zu nennen, wo sie sich möglichst ohne Gefahr erholen könnten. Wo sind wir eigentlich hingekommen?

Ich könnte hier noch viele Beispiele für die Verharmlosung neofaschistischer Straftaten nennen. Wird ein Wahlplakat der LINKEN mit Nazi-Symbolen verunstaltet, wird dies in der offiziellen polizeilichen Kriminalstatistik zumeist als Sachbeschädigung erfasst. Wird ein ausländerfeindliches NPD-Plakat durch einen Gewerkschafter, einen Sozialdemokraten oder auch durch einen Kirchenmann entfernt, wird dies als politisch links motivierte Kriminalität eingestuft, weil jegliche Aktivität gegen Nazis de facto als linke Straftat angesehen wird. So fälscht sich jeder seine Statistik zurecht. Für manche ist es offenbar wichtiger, die Mär vom angeblich gleich gefährlichen Links- und Rechtsextremismus zu pflegen, als die wirklichen Feinde der Demokratie endlich entschlossen zu bekämpfen.

Und so hält man sich auf Staatskosten auch Politologen wie Herrn Jesse in Chemnitz, der diese politischen Vorgaben wissenschaftlich untersetzen soll.

Das, was wir jetzt leider auch hier bei uns in Sachsen erleben müssen, ist die logische Konsequenz einer verstetigten Ignoranz gegen die Gefahr von Rechts.

Allein im Jahr 2010 wurden in der Bundesrepublik 120 Wahlkreis- oder Abgeordnetenbüros von Bundes- oder Landtagsabgeordneten der LINKEN angegriffen und zum Teil erheblich beschädigt, gerade auch hier in Sachsen. Auch das läuft in der Regel unter dem Stichwort „Sachbeschädigung“ und nicht als rechtsmotivierte Straftat. 98 Prozent dieser Angriffe wurden nie aufgeklärt, manche Ermittlungsverfahren schon nach wenigen Wochen ergebnislos eingestellt.

Unverantwortlich waren auch die Kürzungen bei der Jugendförderung und beim Programm „Weltoffenes Sachsen“, die zurückgenommen werden müssen. Herr Ulbig hat ja gestern einen ersten richtigen Schritt angekündigt, ein weiterer aber ist überfällig, nämlich die Abschaffung der so genannten Extremismusklausel.

Und wenn jetzt wieder einmal über ein NPD-Verbot diskutiert wird, dann ist doch klar, dass damit allein das Problem der Neonazis nicht gelöst werden kann. Aber natürlich würden die inzwischen gewachsenen Strukturen zumindest vorübergehend zerstört, die parlamentarische Verankerung ginge verloren und den Nazis würde ihre finanzielle Grundlage entzogen. Aber wir alle wissen doch auch, dass ein neuerlicher Antrag beim Bundesverfassungsgericht nur dann Erfolg haben kann, wenn die staatlich bezahlten V-Leute aus der Organisation zurückgezogen werden. Vom Innenminister habe ich dazu nichts gehört.

Keine Frage, wir müssen den Nazis entschlossen entgegentreten. Die sächsische Justiz jedoch mobilisiert bislang vor allem gegen Links. Da werden kriminelle Vereinigungen erfunden, für die es keinerlei Beweise gibt, die aber sämtliche Ermittlungsmaßnahmen ermöglichen.

Da wird in Dresden das „Haus der Begegnung“ gestürmt, was – wie Gerichte festgestellt haben – eindeutig rechtswidrig war.

Über die Handydaten-Ausspähung im Umfeld des 13. Februar 2011, und auch über die Durchsuchungen bei Pfarrer König in Jena, haben wir in diesem Hause wiederholt gesprochen.

Ein letztes Wort: Die aktuellen Ereignisse müssten uns alle zum Nachdenken bringen. Ich bin sicher, die Demokraten in diesem Haus sind sich darin einig, dass Nazi-Mörder und deren Unterstützer dingfest gemacht werden müssen. Und ich hoffe, dass immer mehr auch die Erkenntnis Raum greift, dass es in diesem Zusammenhang ein fatales Signal ist, wenn diejenigen, die sich den Nazi hier in Dresden friedlich entgegen gestellt haben, wegen vermeintlicher Verstöße gegen das Versammlungsgesetz vor Gericht gestellt werden sollen.

Es bleibt dabei: Faschismus, Rassismus und Antisemitismus sind keine Meinung, sondern Grundlage für jene Verbrechen, über die wir heute hier reden müssen.