Gigantomanie für die Fußball-EM 2024: Bundesregierung setzt falsche Prioritäten
„Während es für den Spitzensport in vielen Sportarten, vor allem aber für den Breiten- und Schulsport an Geld mangelt, verschleudern Bundesregierung, aber zum Teil auch Länder und Kommunen Steuergelder in Millionenhöhe für die Fußball-Europameisterschaft der Männer 2024 und weitere Sportgroßveranstaltungen“, erklärt der Bundestagsabgeordnete Dr. André Hahn, sportpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE mit Bezug auf die Antwort der Bundesregierung auf seine Kleine Anfrage „Aktivitäten des Bundes für die Fußball-Europameisterschaft 2024 (II)″ auf Drucksache 20/8593.
Hahn weiter: „Fußball ist unstrittig in Deutschland und auch in weiten Teilen der Welt die Nummer EINS im Sport. Die von Geldgier bestimmte Gigantomanie treibt dabei – dass zeigen die jüngsten Verlautbarungen von FIFA-Präsident Infantino zur Vergabe der Weltmeisterschaft 2030 mit Austragungsorten auf gleich drei Kontinenten – immer neue Blüten. Statt hier gegenzusteuern, spielen der Deutsche Fußballbund (DFB) und die Bundesregierung ungeniert mit. Dies belegen die zum Teil ausweichenden und unvollständigen Antworten des Parlamentarischen Staatssekretärs im BMI, Mahmut Özdemir (SPD) auf meine nun schon zweite Kleine Anfrage zu dem Thema (Die erste KA auf Drucksache 20/3360 ist vom 08.09.2022) ebenso, wie die Tatsache, dass die Mehrzahl der von Bundeskanzler Olaf Scholz und Sportministerin Nancy Faeser (beide SPD) wahrgenommenen sportpolitischen Termine dem (Profi)Fußball gewidmet waren (Frage 15). Hier stimmen die gesetzten Prioritäten definitiv nicht.
Es bleibt schon die Frage, warum zahlreiche Welt- und Europameisterschaften anderer Sportarten in Deutschland ausgerichtet werden können, ohne dass die Bundesregierung wie bei der EURO 2024 insgesamt 14 Regierungsgarantien gegenüber der UEFA abgeben muss, die fast alle mit Kosten für den Steuerzahler bzw. mit durch die Bundesregierung nicht bezifferbare Steuermindereinnahmen verbunden sind (Frage 2 und 3) oder gar Nationale Koordinierungsausschüsse oder zusätzliche Referate in Bundesbehörden gebildet werden.
Für politisch falsch halte ich die sehr unterschiedliche Förderung von in Deutschland stattfindenden Welt- und Europameisterschaften durch den Bund. Während 60 dieser Sportevents in den Jahren 2022-2024 nach aktueller Übersicht eine Förderung bis maximal 500.000 Euro erhalten (siehe Frage 12; mehr gab es nur für die privat organisierten European Championships in München 2022 mit 33 Mio. €, die Biathlon-WM 2022 mit 696.000 €, die Special Olympics World Games in Berlin 2023 mit 48,5 Mio. € sowie das Militärsportspektakel Invictus Games 2023 in Düsseldorf mit rund 40 Mio. € – alles ohne Berücksichtigung von Fördermitteln für den Sportstättenbau), stehen für die EURO 2024 mindestens 38,6 Millionen Euro allein vom Bund zur Verfügung.
Nicht hinnehmbar ist die fehlende Transparenz, wenn es um den Einsatz von Steuergeldern geht. In der Anfrage ausgewiesen werden zahlreiche, zum Teil auch fragwürdige Projekte, für die der Bund Geld zur Verfügung stellt. Aber es bleiben weiterhin nicht bezifferte Kosten, zum Beispiel die in den Bundesbehörden entstehenden Personalkosten (Frage 17) oder die vom Bundespresseamt geplante Dachkampagne (Frage 5). Nicht akzeptabel ist die Weigerung der Bundesregierung, die finanziellen Aufwendungen der Länder und der zehn Ausrichterstädte (allein Berlin rechnet inzwischen mit rund 82 Millionen Euro) zu beziffern. Angesichts der engen Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Gremien in Bund, Ländern und den zehn Städten ist das offensichtlich der Versuch, die wahren Komplett-Kosten zu verschleiern. Ausweichend diesbezüglich auch die Antwort auf Frage 10 zu den Beteiligungen durch bundeseigene Unternehmen.
Weiterhin sehr vage sind die Antworten zu den Themen Nachhaltigkeit (Frage 19 und 20) und Menschenrechte (Frage 30). Obwohl neben dem Thema Umwelt das Thema Vielfalt und Inklusion ganz oben in der sogenannten ESR-Strategie (Event Social Responsibility-Strategie) steht, sind die Informationen zu Fragen der Barrierefreiheit nicht zufriedenstellend (Fragen 22-28), und es gab hierzu auch im Vergleich zum Stand September 2022 kaum positive Veränderungen (siehe Drs. 20/3360, Fragen 9-12). Nur eines von den 10 Fußballstadien der EURO 2024 ist durch das Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ zertifiziert, ähnlich gering die touristischen Einrichtungen in den zehn Städten. In keinem Stadion erfüllt die Anzahl der geplanten Rollstuhlplätze die in der Muster-Versammlungsstättenverordnung (§ 10) geforderten mindestens ein Prozent der Besucherplätze (Im Gegenteil: Im Vergleich zu den Auskünften im September 2022 wurde die Zahl der geplanten Rollstuhlplätze in 8 von 10 Stadien sogar noch nach unten korrigiert!), und auch die nach § 13 geforderte Zahl an Stellplätzen für Kraftfahrzeuge behinderter Personen ist noch nicht überall erfüllt.“ André Hahn abschließend: „Ich erwarte, dass die Bundesregierung jeden im Zusammenhang mit der EURO 2024 geplanten Haushaltsposten kritisch prüft und – wo noch möglich – auch reduziert bzw. streicht und die dadurch freiwerdenden Mittel innerhalb des Sportetats umverteilt. Ebenso erwarte ich, dass die Anforderungen an die Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Breite (also auch die Barrierefreiheit) ernst genommen und umgesetzt werden.“
Die Dokumente im Einzelnen:
KA 20_8155
KA 20_8155_Anlage 1 zu Frage 4
KA 20_8155_Anlage 2 zu Frage 5
KA 20_8155_Anlage 3 zu Frage 8
KA 20_8155_Anlage 4 zu Frage 12
KA 20_8155_Anlage 5a zu Frage 16
KA 20_8155_Anlage 6a zu Frage 23
KA 20_8155_Anlage 6b zu Frage 23