Griechenland muss Flüchtlingsschutz beachten

Die Aussetzung des Asylrechts durch Griechenland ist ein eklatanter Bruch internationalen Rechts. Dass die Bundesregierung das gutheißt, ist völlig inakzeptabel. Die illegalen Abschiebungen in die Türkei müssen sofort gestoppt werden! Deutschland muss und kann Geflüchteten helfen!

 


Auszug aus dem Plenarprotokoll 19/152 vom 12.03.2020

Zusatzpunkt 4:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gottfried Curio, Martin Hess, Dr. Bernd Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD

Grenzen sichern

Drucksache 19/17780

Dr. André Hahn (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der AfD zeigt einmal mehr, wofür diese Partei im Kern steht.

(Beatrix von Storch [AfD]: Grenzschutz, genau!)

Die AfD steht für Ausgrenzung,

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Abschottung und Rassismus, und nicht nur Die Linke, sondern die große Mehrheit in diesem Haus stellt sich dem entschieden entgegen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fakt ist: An der türkisch-griechischen Grenze spielen sich gegenwärtig dramatische Szenen ab: Familien mit kleinen Kindern werden von der griechischen Polizei mit Tränengas und Blendgranaten beschossen. Die griechische Küstenwache gibt, anstatt zu helfen, Warnschüsse auf Flüchtlingsboote ab und riskiert mit gefährlichen Manövern, dass diese kentern. In einem beispiellosen Vorgang setzt die griechische Regierung das Asylrecht außer Kraft und lässt Schutzsuchende, die es nach Europa geschafft haben, ohne Prüfung der Fluchtgründe zurück in die Türkei abschieben.

Dieses Vorgehen der griechischen Regierung ist zutiefst inhuman, weil es die Not der betroffenen Menschen, die erst auf Geheiß des türkischen Präsidenten Erdogan an die Grenze verbracht wurden, ignoriert und sie weiter in die Verzweiflung treibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Vorgehen Griechenlands ist zudem eklatant rechtswidrig, und die Bundesregierung weiß das ganz genau. Ich zitiere aus einer vom Innenministerium erstellten Weisung vom 4. März für den Sonderrat der EU für Justiz und Inneres. Dort heißt es „Artikel 78 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU stellt aus deutscher Sicht keine Rechtsgrundlage für einseitige Maßnahmen der Mitgliedstaaten dar (hier: Aussetzung der Annahme von Asylanträgen). Humanitäres Völker- und Unionsrecht gebietet das Recht auf Asyl.“ Griechenland bricht also EU-Recht. Doch anstatt das öffentlich oder wenigstens diplomatisch zu kritisieren, nennt Innenminister Seehofer das Vorgehen Griechenlands an der Grenze „sehr gut“ und bezeichnet die Aussetzung des Asylrechts wider besseres Wissen gar als „in Ordnung“. Das ist völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Forderung als Linke ist ganz eindeutig: Die EU-Kommission muss endlich auf die Einhaltung europäischer und internationaler Regeln drängen. Die illegalen Zurückweisungen an der griechischen Grenze müssen sofort gestoppt werden.

(Beifall bei der LINKEN – Beatrix von Storch [AfD]: Vor dem illegalen Übertritt!)

Mein erkrankter Fraktionskollege Michel Brandt, der heute eigentlich auch reden wollte, war gerade vor Ort und hätte Ihnen mit Sicherheit schlimme Schicksale von dort schildern können. Höchst dramatisch ist nach wie vor auch die Situation auf den griechischen Ägäis-Inseln. Das Flüchtlingslager Moria war ursprünglich für 3 000 Menschen ausgelegt. Derzeit leben dort circa 25 000 Menschen unter unwürdigen Bedingungen – ohne absehbare Perspektive, ohne ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Lebensmitteln oder zu Strom. In einer Reportage der ZDF-Sendung „Frontal 21“ von dieser Woche erklärte eine Frau: „Wir leben hier wie die Tiere. Ach, nicht einmal Tiere leben so wie wir.“ Ich sage: Wir dürfen vor diesem Leid nicht länger die Augen verschließen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf Lesbos kontrolliert ein rassistischer Mob Teile der Insel. Schulen und Unterkünfte werden angezündet. Rechtsextreme machen Jagd auf Journalisten und humanitäre Helfer. Manche Hilfsorganisationen haben schon aufgegeben und ihre Mitarbeiter evakuiert. Es sind inzwischen eine Handvoll Leute, linke Humanisten, die ehrenamtlich versuchen, auf Lesbos das letzte bisschen Menschlichkeit zu wahren. Ein guter Bekannter von mir, der dort mithilft, wurde kürzlich von einem achtjährigen Jungen gefragt, ob er nicht sein Vater sein wolle. Ich finde das erschütternd.

(Zuruf von der AfD: Ja!)

Der Antrag der AfD dagegen ist frei, frei von jeglicher Empathie für die Situation der Schutzsuchenden und rückt diese sogar noch pauschal in die Nähe von kriminellen oder terroristischen Organisationen. Dass die AfD so argumentiert, überrascht mich nicht. Bei anderen erwarte ich jedoch mehr Sensibilität.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb sage ich auch in Richtung von Frau von der Leyen: Fliegen Sie nicht mit dem Hubschrauber über die Grenze und die Flüchtlingslager, sondern informieren Sie sich persönlich vor Ort.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie war doch da!)

Dann werden auch Sie begreifen, dass die Zustände dort schlichtweg unhaltbar sind und die EU ihre Strategie korrigieren muss.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was erzählen Sie denn da?)

Unsere Position als Linke ist klar: Der sogenannte Flüchtlingsdeal war ein schwerer Fehler. Wir dürfen uns von Erdogan weder erpressbar machen noch erpressen lassen. Schon deshalb verbietet sich jede Neuauflage oder Überarbeitung dieses Abkommens.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie müssen Ihre Rede noch mal überarbeiten!)

Nehmen Sie endlich zur Kenntnis: Trotz aller, zum Teil auch rechtswidriger Bestrebungen, Geflüchtete vom Zugang nach Europa abzuhalten, ist die Hilfsbereitschaft in Deutschland weiterhin erfreulich groß. Rund 140 Kommunen in Deutschland haben sich zu sicheren Häfen und damit zur weiteren Aufnahme von Geflüchteten bereit erklärt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allein die rot-rot-grün regierte Bundeshauptstadt hat aktuell 2 000 Plätze angeboten.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das passt!)

Dagegen ist das Geschacher der Großen Koalition um die Anzahl und Aufnahme unbegleiteter Kinder, die von den griechischen Inseln geholt werden sollen, einfach nur unwürdig.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht warten, bis es irgendwann vielleicht eine europäische Lösung und eine Verteilung gibt, die immer wieder gefordert wird. Die Bundesregierung muss jetzt handeln und die Zusammenarbeit mit den aufnahmebereiten Kommunen suchen. Die Zustände auf den Inseln und an der griechischen Grenze sind unhaltbar. Die Aufnahme der dort Gestrandeten gebieten das Recht und die Menschlichkeit.

(Beifall bei der LINKEN)