Kirchentag führt zusammen – EKD-Ratsvorsitzender zum ersten Mal bei einer Veranstaltung der LINKEN

Zum Beginn des 33. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dresden erklärt der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, Dr. André Hahn (Text der Rede zum Kirchentagsempfang der LINKEN siehe unten, Foto zum Empfang auf http://www.linksfraktionsachsen.de/):

„Der Auftakt des Evangelischen Kirchentages in Dresden ist ohne Zweifel gelungen. Die Dresdner und die Sachsen überhaupt sind gute Gastgeber und werden es ganz sicher auch in den kommenden Tagen sein.

Ich habe als Gast am Eröffnungsgottesdienst teilgenommen und fand besonders die Rede von Landesbischof Bohl beeindruckend, insbesondere was seine Aussagen zu den Banken und der Profitgier in unserer Gesellschaft anbelangt. Hier gibt es viele Anknüpfungspunkte zu Positionen der LINKEN.“

Im Anschluss an die offizielle Eröffnung gab es anlässlich des Kirchentages einen Empfang der Bundestagsfraktion sowie der sächsischen Landtagsfraktion der LINKEN. Schon das war ein Novum. Für die beiden Gastgeber begrüßten die Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi und André Hahn die zahlreich erschienenen Anwesenden. Im Anschluss gab es eine Gesprächsrunde mit Gregor Gysi und Prof. Konrad Raiser, dem ehemaligen Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen.

Zwei der vielen Gäste verdienen eine ganz besondere Erwähnung: Zum einen Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD) in Deutschland, und zum anderen Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime.

Dazu Dr. Hahn: „Dass der EKD-Ratsvorsitzende hier bei uns in Dresden erstmals an einer Veranstaltung der LINKEN teilnahm, war ein überaus bedeutsames und auch politisch wichtiges Zeichen. Mit Blick auf den Stand der deutschen Vereinigung kann man dies durchaus als ein historisches Ereignis bezeichnen.

Bei allen vorhandenen Differenzen gibt es zwischen evangelischen Christen und LINKEN eben auch eine ganze Menge an Übereinstimmungen, z.B. bei sozialen Fragestellungen, beim Umweltschutz oder auch beim klaren Vorrang ziviler Konfliktlösungsstrategien vor Kriegseinsätzen. Vielleicht ist der Besuch Nikolaus Schneiders auch ein Anlass für die sächsische CDU, ihren Kurs der weitgehenden Ausgrenzung der LINKEN endlich ad acta zu legen.

Dass zugleich auch der Zentralratsvorsitzende der Muslime in Deutschland unserer Einladung zum Kirchentag gefolgt ist, wofür sich vor allem mein Thüringer Amtskollege Bodo Ramelow eingesetzt hat, ist ein weiterer Beleg für die erkennbar gewachsene Verankerung der LINKEN in der Gesellschaft.“

Rede von Dr. André Hahn beim Empfang der Bundestags- und sächsischen Landtagsfraktion der LINKEN anlässlich des 33. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dresden

Nach Gregor Gysi, der für die Bundestagsfraktion gesprochen hat, möchte auch ich Sie im Namen des zweiten Gastgebers dieses Abend, der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, ganz herzlich hier begrüßen.

Ich freue mich, dass so viele unserer Einladung gefolgt sind. Ich bitte daher auch um Verständnis, dass ich auf Einzelbegrüßungen nach Protokoll heute verzichte. Zwei Gäste aber möchte ich dennoch ganz besonders herzlich willkommen heißen.

Zum einen Nikolaus Schneider, den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Soweit ich weiß, ist das eine Premiere bei der LINKEN. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass Sie heute zu uns gekommen sind.

Und es ist mir eine große Ehre, auch Aiman Mazyek hier begrüßen zu können. Er ist der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Seien auch Sie ganz herzlich begrüßt.

Ich finde: Der Evangelische Kirchentag ist in Dresden gut aufgehoben, denn Sachsen gilt zu Recht als Mutterland der Reformation. Das kritische Infragestellen überkommener Autoritäten, die ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt haben, ist zugleich Motor der Reformation wie der Aufklärung und auch der Arbeiterbewegung gewesen, womit ich schon zwei weitere, bis heute wirkmächtige Bewegungen genannt haben, deren Ausgangspunkt Sachsen ist.

„Da wird auch dein Herz sein“ – das schöne Motto dieses Kirchentags – lässt sich folglich hierzulande vielfältig übersetzen. Das Allerschönste aber ist: Was im 19. Jahrhundert im Regelfall als Gegensatz empfunden wurde und zu heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen führte, geht im 21. Jahrhundert oftmals Hand in Hand.

Natürlich würde ich mir als konfessionsloser Agnostiker nie trauen zu sagen, was Bodo Ramelow dieser Tage in seinem Essay für die „Sächsischen Zeitung“ anlässlich des Kirchentages – zitierend und begründend – geschrieben hat: Als Sozialist muss man nicht Christ sein, aber als Christ muss man Sozialist sein.

Es ist ja nun mal Fakt, dass es viele gläubige, bibelfeste Christen gibt, die sich der Tradition der abendländischen Aufklärung verpflichtet fühlen und zugleich engagiert für soziale Gerechtigkeit eintreten.

Die Urchristen hatten nach biblischer Überlieferung ohnehin alles gemeinsam, und so können sich moderne Sozialisten, die dem neoliberalen Privatisierungswahn ein neues Verständnis von Gemeinsinn entgegenstellen, auch auf ursprünglich christliche Ideale berufen.

Die evangelischen Kirchentage sind seit Langem auch jenseits der Grenzen der Kirche als eine Art gesellschaftliches „update“ des Protestantismus in unserem Land anerkannt. Deshalb gelten sie auch als Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen, und wir spüren nicht zuletzt in der sächsischen Landespolitik immer wieder, dass die Zeiten alter Frontlinien weitgehend vorbei sind.

Beim Schutz der Sonn- und Feiertage vor weiterer Kommerzialisierung durch immer häufigere und längere Sonntagsöffnung von immer mehr Geschäften standen auf der einen Seite Linke und Sozialdemokraten gemeinsam mit der Evangelischen Landeskirche und den Gewerkschaften, und auf der anderen Seite Politiker, die sich Christdemokraten bzw. Freidemokraten nennen.

Und als es um die Zahl der Veranstaltungen des Kirchentags im Landtagsgebäude ging, waren LINKE, SPD und GRÜNE für Gastfreundschaft und Großzügigkeit, während sich die Mehrheit von CDU und FDP zugeknöpft gab und nur eine Minimallösung duldete, weil ihr die Themen zu „links“ schienen. Doch der Geist weht, wo er will – man sollte ihn nicht zu blockieren versuchen.

Die herrschende Politik in der DDR zeichnete sich beim Umgang mit Christen und Kirchen bekanntlich leider nicht selten durch Kleinkariertheit, Misstrauen und daraus resultierende Repressionen aus.

Das sollten wir nicht vergessen, und das soll auch heute nicht unerwähnt bleiben. Wir haben unsere Schlussfolgerung gezogen: Wahre Gerechtigkeit gibt es nicht ohne wirkliche Freiheit – und umgekehrt.

Deshalb lassen wir uns vom Verlauf dieses Kirchentages überraschen – und werden uns voller Neugier und Lust am Diskurs an vielen Veranstaltungen beteiligen. Ich freue mich, dass auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung den Kirchentag nutzt, um Schnittmengen zwischen dem Denken von Menschen unterschiedlicher Weltanschauung auszuloten.

Glaube und Vernunft schließen sich ja auch aus Sicht jener Menschen nicht aus, die selbst keiner Konfession zugehörig sind.

Denn ohne Ideale, die hoffentlich jeder Mensch hat, bleiben alle rationalen Überlegungen merkwürdig hohl und herzlos.

Und ohne Benutzung des Verstandes sind die schönsten Ideen oft nur der Kategorie „Gut gemeint“ zuzuordnen, also nicht immer ganz ernst zu nehmen.

Die Diskussionen auf diesem Kirchentag werden ganz gewiss nicht immer in „Friede, Freue, Eierkuchen“ einmünden. Bei der Frage des Arbeitsrechts, des Kündigungsschutzes und von Tarifvereinbarungen, die unserer Auffassung nach auch für Mitarbeiter/innen kirchlicher Einrichtungen volle Gültigkeit bekommen müssen, haben wir einen Dissens mit Verantwortlichen der beide großen Kirchen wie auch von Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft. Wenig Dissens gibt es dagegen wohl mit vielen Christinnen und Christen, die auch keine zwei Klassen von Beschäftigten haben wollen.

Unser Eintreten für zivile Konfliktlösungsstrategien wiederum, die ganz eindeutig Vorrang vor Kriegseinsätzen haben sollten, findet kaum irgendwo so viel Zuspruch wie in christlichen Kreisen.

Und was Landesbischof Bohl vorhin in seiner Predigt zum Eröffnungsgottesdienst zu den Banken und der Profitgier gesagt hat, kann ich sofort unterschreiben. Allerdings wollen wir den Reichtum nicht erst im Himmel, sondern hier auch Erden anders und gerechter verteilen.

Ich war unlängst hier in Dresden zu Gast beim Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer, der sich als Brücke zwischen Wirtschaft und evangelischer Kirche versteht.

Das Thema meines Referates hieß: „Sozial und innovativ – ein Zukunftsprofil für sächsische Wirtschaft bzw. Wirtschaftspolitik.“ Erwartungsgemäß war die anschließende Diskussion nicht von Harmoniesucht geprägt. Aber sie war offen, und mit einigen Teilnehmern stehe ich seither im Gedankenaustausch. Wenn das auch ein Ergebnis des Kirchentages sein könnte, wäre es für mich ein Grund mehr, diesem Ereignis weiter hinterher zu pilgern, schließlich war ich mit meiner Frau auch schon auf dem Kirchentag in Bremen.

Der Satz aus der Bergpredigt, dem das diesjährige Kirchentagsmotto entnommen ist, beginnt mit „Wo dein Schatz ist (…).“ Da hat nun jeder andere Vorlieben.

Ich denke bei diesem Wort zuallererst an meine Frau Katharina. Sie ist seit drei Jahrzehnten in der evangelischen Kirche sehr engagiert, gehört heute dem Kirchenvorstand der Gemeinde Königstein-Papstdorf an und ist auch Mitglied der Bezirkssynode.

Ich gehöre deshalb zu jenen Nichtkirchenmitgliedern, die immer mal wieder an Gottesdiensten teilnehmen – was laut einer jüngsten Umfrage gerade in Sachsen gar nicht so selten vorkommt.

Es sieht zwar nicht so aus, als ob ich selbst in diesem Leben noch mal fromm würde, dafür bin ich persönlich zu sehr in der Vorstellung verwurzelt, dass die Religion von Menschen gemachte Antwort auf die von Menschen gemachten Verhältnisse ist.

Aber diese Verhältnisse zum Wohle aller in ihnen lebenden Menschen zu entfalten und – wo nötigt – auch zu verändern, ist ein überaus anspruchsvolles Projekt. Dafür braucht man starke Partner.

Auch deshalb bin ich gern mit Menschen zusammen, die einen Gott haben, der um der Menschlichkeit willen selbst Mensch geworden ist. Eine faszinierende Idee – ebenso faszinierend wie die demokratisch-sozialistische Idee einer Welt der Freien und Gleichen.

In diesem Sinne wünsche ich uns hier und heute einen interessanten Abend mit vielen guten Gesprächen.