Koalition will weitreichende Schnüffelbefugnisse für Geheimdienste

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD sollen die deutschen Geheimdienste zum Einsatz der sogenannten Quellen-Telekommunikations-Überwachung (TKÜ) ermächtigt werden, also weitreichende Schnüffelbefugnisse erhalten. Das ist aus Sicht der LINKEN ein schwerwiegender und völlig unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff.


Auszug aus dem Plenarprotokoll 19/228 vom 7.5.2021

Zusatzpunkt 19:

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts

Drucksachen 19/24785, 19/24900

 

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Jetzt erhält das Wort der Kollege Dr. André Hahn, Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. André Hahn (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutschen Geheimdienste sollen neue, weitreichende Schnüffelbefugnisse erhalten. Dem fortwährenden Drängen aus dem Hause Seehofer zu erweiterten geheimdienstlichen Befugnissen hatte sich das SPD-geführte Bundesjustizministerium bereits im Herbst letzten Jahres zunächst inhaltlich gebeugt.

Nun wurden laut Presseberichten letzte rein machtpolitische Widerstände innerhalb der SPD-Fraktion in einem Tauschhandel gegen das bis dato von der Union blockierte Unternehmensstrafrecht aufgegeben. Selbst Kanzlerkandidat Scholz soll persönlich in den Deal involviert gewesen sein, obwohl er von Geheimdiensten nun wahrlich keine Ahnung hat. Fakt ist: Es handelt sich um einen schlechten Tauschhandel zulasten der Bürgerrechte in diesem Land. Lieber Genosse Grötsch, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, wenigstens in diesem Punkt hätten Sie doch einmal auf Ihre Parteivorsitzende hören sollen.

Mit dem Gesetz sollen das Bundesamt für Verfassungsschutz, aber auch die Verfassungsschutzämter der Länder sowie der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst zum Einsatz der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung, kurz TKÜ, ermächtigt werden. Anbieter von Kommunikationsdiensten müssen künftig nach einer entsprechenden Anordnung den vollständigen Datenstrom eines Betroffenen auf die Überwachungssysteme der Geheimdienste umleiten. Über einen Trojaner werden dann dessen digitale Endgeräte infiltriert, um anschließend heimlich darauf zugreifen und eigentlich verschlüsselte WhatsApp-Nachrichten oder Nachrichten anderer Messengerdienste direkt an der Quelle unverschlüsselt auslesen zu können. Das ist nicht nur aus Sicht der Linken ein schwerwiegender und völlig unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine trennscharfe Abgrenzung zu Maßnahmen der sogenannten Onlinedurchsuchung, für die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes sehr strenge Auflagen bestehen, ist nicht möglich. Für beide Maßnahmen – der Kollege der FDP hat es eben gesagt – müssen Sicherheitslücken in den IT-Systemen genutzt werden, und niemand kann kontrollieren, dass die Grenze zwischen beiden eingehalten wird.

Wer entscheidet eigentlich, was eine schwere Bedrohung für den Rechtsstaat darstellt, bei der die Quellen- TKÜ künftig zum Einsatz kommen soll? Zugleich wird die digitale Sicherheitsarchitektur aller Bürgerinnen und Bürger untergraben, indem staatliche Akteure Sicherheitslücken, anstatt diese zu schließen, ähnlich wie kriminelle Angreifer nutzen.

Die Geheimdienste brauchen aus unserer Sicht keine zusätzlichen Befugnisse, sondern klare Grenzen für die Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern und auch von Institutionen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deren Einhaltung muss auch durch parlamentarische Gremien wirksam kontrolliert werden. Das ist jetzt schon schwierig. Demnächst wird es nahezu unmöglich.

Der Verfassungsschutz hat beim Thema NSU, beim Umgang mit den V-Leuten oder in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nicht in Ermangelung von nachrichtendienstlichen Mitteln versagt, sondern aus systemischen Gründen. Er benötigt daher keine Quellen- TKÜ, sondern gehört in der jetzigen Form aufgelöst. Der vorliegende Gesetzentwurf sollte möglichst der Diskontinuität unterfallen.

Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)