Kontrolle außen vor

Die anlasslose Massenüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) im Ausland ist verfassungswidrig. Pressefreiheit und Telekommunikationsgeheimnis gelten nicht nur in Deutschland, auch im Ausland sind deutsche Behörden an die Grundrechte gebunden. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 entschieden und gab damit einer Beschwerde gegen das Ende 2016 reformierte BND-Gesetz statt.

Die Reaktion auf das Urteil durch das Bundeskanzleramt indes war dreist: Es legte eine Gesetzesnovelle vor, die dem BND im Rahmen der Auslandfernmeldeaufklärung weiterhin all das erlaubte, was er bisher ohne Rechtsgrundlage getan hat – nur jetzt nachträglich legalisiert. Diese Woche wurde die Neuregelung mit ein paar kosmetischen Korrekturen von Union und SPD beschlossen. Und das, obwohl mehrere Sachverständige im Februar erneut die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs in Frage gestellt hatten.

Der Schutz von Journalisten vor Ausspähung ist nach wie vor unzureichend geregelt, obwohl dies ein zentraler Punkt der Klageführer war. Nicht einmal der Begriff des »Journalisten« wird im Gesetz definiert, sondern soll in einer geheimen Richtlinie des BND interpretiert werden. Bundeskanzleramt und BND erschaffen eine gesetzliche Fiktion zur Aufhebung des Personenbezugs von Daten. Diese führt zu einer vollständigen Freigabe der Ausspähung von Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, umfasst millionenfach Lebenssachverhalte auch von deutschen Grundrechtsträgern, darunter Onlinebanking, Hotelbuchungen, GPS- und Bewegungsdaten von Mobilfunkgeräten. All das soll künftig anlasslos überwacht werden können, obwohl der Europäische Gerichtshof erst im Oktober 2020 entschieden hat, dass diese Übermittlung an Sicherheitsbehörden und Geheimdienste europarechtswidrig ist.

Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) wird zudem nicht entscheidend gestärkt. Die Bundesregierung kann sich beispielsweise weiterhin hinter dem Konstrukt der »Third-Party-Rule« verstecken, wenn sie gemeinsame Operationen mit anderen Geheimdiensten verschweigen will. Es reicht einfach zu behaupten, der Partnerdienst stimme einer Unterrichtung nicht zu, und das PKGr bleibt bei der Kontrolle außen vor. Hilfsweise kann die Regierung auch angebliche Staatswohlinteressen vorschieben. Eine derartige Praxis ist etwa in den USA oder Großbritannien völlig undenkbar.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass auch das neue BND-Gesetz in Karlsruhe landen wird. Bis zu Entscheidung und Überarbeitung könnten schnell weitere fünf Jahre vergehen. Der BND hätte dann ein Jahrzehnt verfassungswidrig agiert. Für die Bundesregierung mag das hinnehmbar sein, für uns als Opposition ist das völlig inakzeptabel.

Quelle: jW vom 27.03.2021,

Gastkommentar von André Hahn