Parlamentarische Demokratie durch direkte Demokratie stärken

Mit ihrem Gesetzesentwurf gibt die AfD vor, durch eine Änderung des Grundgesetzes mehr Mitwirkungsrechte für Bürgerinnen und Bürger erreichen zu wollen. In Wirklichkeit bringt sie die direkte Demokratie in eine Frontstellung gegen die parlamentarische Ordnung. DIE LINKE dagegen will die demokratischen Institutionen und die demokratische Kultur in unserem Land stärken.


Auszug aus dem Plenarprotokoll 19/213 vom 26.02.2021

Tagesordnungspunkt 19

Erste Beratung des von den Abgeordneten Roman Johannes Reusch, Jochen Haug, Albrecht Glaser, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der Direkten Demokratie auf Bundesebene

Drucksache 19/26906

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir als Linke haben uns schon für direkte Demokratie und die Ermöglichung von Volksentscheiden auf Bundesebene eingesetzt, als es die AfD noch gar nicht gab,

(Enrico Komning [AfD]: Na, war ja nicht so erfolgreich!)

und wir werden dieses Ansinnen auch dann noch unterstützen, wenn es die AfD nicht mehr geben wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich hoffe ich sehr, dass beide Dinge sehr schnell gehen, also die Durchsetzung direkter Demokratie ebenso wie das Verschwinden der AfD.

Gleichwohl diskutieren wir heute über eine Gesetzesinitiative von Rechtsaußen, die vorgibt, durch eine Änderung des Grundgesetzes mehr Mitwirkungsrechte für Bürgerinnen und Bürger erreichen zu wollen. In Wirklichkeit geht es der AfD nicht um die Erweiterung von demokratischen Teilhabemöglichkeiten in unserem Land. Angesichts von Hass, Hetze und Polarisierung, die die AfD seit Jahren in den Parlamenten und auf den Straßen betreibt, ist dieses basisdemokratische Gehabe einfach nur zynisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Die AfD will das repräsentative System nicht etwa mit sinnvollen plebiszitären Elementen ergänzen. Sie bringt die direkte Demokratie in eine Frontstellung gegen die parlamentarische Ordnung. Das wollen wir als Linke ausdrücklich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die AfD verachtet den Parlamentarismus; dafür gibt es diverse Belege. Ich nenne nur ein Beispiel: Der AfD- Abgeordnete Enrico Komning, so berichtet der „Spiegel“ im vergangenen Jahr, hat dazu ganz unverblümt erklärt – Zitat –: „… parlamentarischer Staat, oder wie auch immer diese Demokratie heißt, … die wollen wir ja aber gar nicht. Die wollen wir doch abschaffen.“

Von einer Partei, meine Damen und Herren, wie der AfD, die unser Parlament derart verachtet, brauchen wir ganz sicher keine Belehrung in Sachen Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ändert im Übrigen nichts an der Tatsache, dass wir hierzulande, was Volksentscheide anbelangt, keineswegs Vorreiter, sondern im europäischen Vergleich eher ein Entwicklungsland sind, sowohl in den Ländern als auch im Bund, wo abgesehen von der Entscheidung über die Fusion von Bundesländern keine Bürgerentscheide vorgesehen sind.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:  Herr Kollege Dr. Hahn, gestatten Sie eine Zwischen- frage aus der AfD?

(Beatrix von Storch [AfD]: Von Herrn Komning!)

Dr. André Hahn(DIE LINKE):

Nein, danke. –

Was die fehlende Möglichkeit, Volksentscheide durchzuführen, angeht, sagen wir als Linke: Das darf so nicht bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, einige hier im Haus wissen, dass ich 1990 am Runden Tisch der DDR mitwirken durfte. Ich habe schon wiederholt an den Verfassungsentwurf dieses Gremiums erinnert, der aufgrund des Beitritts zur Bundesrepublik nicht mehr zur Geltung kam. Eine der zentralen Forderungen der Bürgerbewegten war damals die Stärkung der direkten Demokratie und die Einführung von Volksentscheiden. Das fand dann zwar Eingang in die Verfassungen der ostdeutschen Bundesländer, in der Realität kam dies jedoch kaum zur Anwendung. Vor allem gab es viel zu wenig erfolgreiche Initiativen.

Ich war vor meinem Mandat hier in Berlin viele Jahre im Sächsischen Landtag tätig und habe dort erlebt, dass diverse Volksanträge gescheitert sind, weil die Bürgerinnen und Bürger letztlich niemals darüber abstimmen durften. 40 000 Unterschriften in der ersten Stufe waren noch machbar, aber wenn die regierungstragende Mehrheit den Antrag ablehnte, brauchte man 450 000 Unterschriften, was sich fast immer als undurchführbar erwies. In 30 Jahren gab es deshalb lediglich einen einzigen Volksentscheid in Sachsen, und zwar zum Thema „Pro Kommunale Sparkasse“, als die Staatsregierung über eine Holding deren Eigenständigkeit abschaffen wollte. Die erforderlichen Unterschriften kamen letztlich nur dadurch zustande, dass es durch die Hunderten Filialen der Sparkassen im Land ausreichend Anlaufpunkte für die Bürgerinnen und Bürger gab, um ihre Unterschriften für die Durchführung eines Volksentscheides zu leisten. Von daher geht es uns als Linke nicht nur darum, die Zulässigkeit von Volksentscheiden im Grundgesetz zu verankern, vielmehr muss die Umsetzung auch praktisch machbar sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass das möglich ist, hat die Absenkung der für einen Volksentscheid erforderlichen Quoren für Unterschriften in Thüringen gezeigt, und auch in Sachsen gab es inzwischen zumindest Bewegungen in die richtige Richtung.

Aber zurück zur Bundesebene. Hier geht es darum, zunächst einmal die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass Volksentscheide überhaupt durchgeführt werden können. Dass wir dieses hochsensible Thema natürlich nicht der AfD überlassen können oder wollen, zeigt der Umstand, dass wir als Linke bereits am 24. Oktober 2017 auf Drucksache 19/16, also wenige Tage nach der Konstituierung des neuen Bundestages, den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der direkten Demokratie im Grundgesetz in das Parlament eingebracht haben. Zudem – Mahmut Özdemir hat davon auch gesprochen – verweise ich auf unseren Gesetzentwurf von März 2010, mit dem wir die Einführung der Volksgesetzgebung im Grundgesetz erreichen wollten. Für all das brauchen wir also keine AfD.

(Beifall bei der LINKEN)

Dem Grundgesetz wohnt der Gedanke inne, dass der Souverän die Bevölkerung ist. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es in Artikel 20. In der Praxis beschränkt sich die Ausübung der Staatsgewalt allerdings auf das Wahlrecht. Wahlen allein bieten aber keine ausreichende Möglichkeit, nachhaltig und vor allem stetig die Politik mitzubestimmen. Die Arbeits- und Funktionsweise der Organe der repräsentativen Demokratie auf Bundesebene können weite Teile der Bevölkerung nicht wirklich nachvollziehen und wirksam beeinflussen. Wir als Linke haben dafür großes Verständnis, und deshalb wollen wir aktiv etwas dagegen tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Demokratie, meine Damen und Herren, ist kein fertiger Zustand. Sie muss Tag für Tag von den Bürgerinnen und Bürgern gelebt werden, und sie muss auch gelebt werden können. Dazu gehören aus unserer Sicht auch Volksentscheide. Das unterstützen wir nachdrücklich. Dafür setzen wir uns ein. Ich finde, eigentlich sollten alle parlamentarischen Gremien und auch alle Parteien, die demokratisch gewählt hier in diesem Haus sitzen, gemeinsam darauf hinwirken.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren: Ja, wir wollen mehr direkte Demokratie. Und nein, dafür brauchen wir keinen Antrag und keinen Gesetzentwurf der AfD. Deshalb werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen.

Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)