Rede zum Thema „Nachhaltige Bildungspolitik für unsere Kinder – Bildungsstandort Sachsen zukunftsfähig gestalten“
119. Landtagssitzung, 15.10.2008, Fachregierungserklärung des Kultusministeriums
Rede zum Thema „Nachhaltige Bildungspolitik für unsere Kinder – Bildungsstandort Sachsen zukunftsfähig gestalten“
Es gilt das gesprochene Wort!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Herr Staatsminister Wöller,
bei allem Respekt Ihnen gegenüber und bei aller persönlichen Affinität zur Bildungspolitik, muss ich aber doch eines in aller Deutlichkeit sagen: Um uns herum tobt die größte Krise der Finanzmärkte seit fast 60 Jahren mit ungeahnten Folgen, und Sachsen lebt nicht im luftleeren Raum. Wenn es heute einer Regierungserklärung bedurft hätte, dann hätte sich der Ministerpräsident oder zumindest der Finanzminister dem Parlament stellen und der Landtag die Chance erhalten müssen, vor Abschluss der Verhandlungen dem vom Parlament gewählten Regierungschef eigene Positionen mit auf den Weg zu geben. Der Umgang von Herrn Tillich mit dem Landtag ist eine einzige Katastrophe.
Ungeachtet dessen muss und werde ich natürlich nunmehr auch auf Ihre heutigen Ausführungen eingehen, Herr Kollege Wöller. Sie haben – wie bei solchen Fachregierungserklärungen leider üblich – die Situation im Bildungsbereich schöngefärbt und die tatsächlichen Probleme an den Schulen unseres Landes nur halbherzig angerissen oder gleich ganz ausgeblendet. Keine wirklich neuen Ideen, keine innovativen Ansätze und schon gar keine Visionen! Kein Zweifel: Mit dieser Koalition und mit diesem Minister ist auf Dauer kein Staat mehr zu machen. Die Schüler, die Eltern und nicht zuletzt auch die Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen haben eine andere, eine bessere Politik verdient, aber zum Glück ist es ja bis zur Landtagswahl nicht mehr allzu weit.
Der Kultusminister hat seine Rede eingeleitet mit einem Zitat des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, und gegen dessen Forderung „Möglichst viele sollten möglichst viel wissen.“ ist ja nun wahrlich nichts einzuwenden.
Auch ich möchte mit einem Bundespräsidenten beginnen, und zwar dem derzeitigen. Horst Köhler eröffnete vor wenigen Tagen den 47. Deutschen Historikertag hier in Dresden, und er hat in seinem Beitrag die ungleichen Zugangschancen zu guter Bildung in Deutschland als „beschämend“ kritisiert.
Wörtlich sagte Horst Köhler:
„Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass die schulische Entwicklung eines Kindes immer noch maßgeblich von seiner Herkunft und dem Geldbeutel der Eltern bestimmt wird.“ Ohne Zweifel: Hier hat Horst Köhler recht, und auch wenn ich aufgrund vorliegender Studien weiß, dass Sachsen auf diesem Gebiet ein bisschen besser dasteht als andere Bundesländer, so haben wir keinerlei Grund zu
Selbstgefälligkeit, denn auch bei uns hängt der spätere Bildungsweg allzu oft vom sozialen Status der Eltern ab, und wer das leugnet, der weigert sich, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Ich komme darauf im Folgenden noch zurück.
Bevor ich zur Bildungspolitik einige grundsätzliche Positionen der LINKEN darstelle, möchte ich zunächst auf einige Punkte aus der Rede des Kultusministers eingehen.
Ich habe ja durchaus ein gewisses Verständnis dafür, wenn Sie immer wieder auf den 1. Platz beim Bildungsmonitor der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ verweisen, aber natürlich muss man auch heute erwidern, dass dessen Untersuchungen völlig einseitig auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Schulabgänger orientiert sind und eben nicht an einer möglichst hohen
Allgemeinbildung, die wir für erforderlich halten.
Es ist bekannt, dass dieselbe Initiative Georg Milbradt zum Ministerpräsidenten des Jahres wählte, der dann kurze Zeit später mit der Landesbank unterging, und ich verweise auch auf den jüngsten parlamentarischen Abend des Sächsischen Handwerkskammertages hier in diesem Saal, auf dem Präsident Dirschka den Regierenden in Sachen Qualität der Schulabgänger ordentlich die Leviten las.
Herr Tillich und Herr Jurk, Sie waren persönlich dabei. Deutlicher hätte es auch die Opposition kaum formulieren können. Es gibt also keinerlei Grund für Selbstzufriedenheit.
Es hat uns natürlich nicht verwundert, dass auch Herr Wöller die sächsische Mittelschule wieder einmal über den grünen Klee gelobt hat. Das hat er mit seinen Amtsvorgängern gemein, und die meisten waren bekanntermaßen nicht allzu lange im Amt.
Minister Wöller hat vorhin behauptet, die Mittelschule sei ein „Modell für Deutschland“, „beispielgebend für andere Bundesländer“. Das mag sein, aber nur deshalb, weil in einigen noch immer die klassische Dreigliedrigkeit vorherrscht.
Ansonsten ist natürlich Widerspruch angesagt, und ich bin auch sehr gespannt darauf, was die Sozialdemokraten dazu sagen, dass Herr Wöller die Mittelschule quasi als die eigentliche Gemeinschaftsschule begreift. Für mich hat das mit einem modernen Verständnis von Bildung mit Sicherheit nichts zu tun.
Auch in einem anderen Punkt blieben die Aussagen des Ministers mehr als mysteriös. So lobte er sich dafür, dass mit Beginn des laufenden Schuljahres an zahlreichen Mittelschulen die zweite Fremdsprache bereits ab der 6. Klasse eingeführt und damit der spätere Wechsel zum Gymnasium besser möglich sei. Eine derartige Regelung fordern wir schon seit langem, und doch bleiben Fragen
offen:
Der Amtsvorgänger von Herrn Wöller, der jetzige CDU-Fraktionschef Flath, hatte ursprünglich zugesagt, dass die zweite Fremdsprache zumindest in jeder zweiten Mittelschule ab Klasse 6 angeboten werden solle. Jetzt plötzlich ist nur die Rede von einigen Schulen. Deshalb formuliere ich zwei Fragen an den amtierenden Minister: An wie vielen Mittelschulen gilt diese Regelung im laufenden Schuljahr tatsächlich? Und zweitens möchte ich wissen, wieso nur einem Teil der Schüler diese Möglichkeit gegeben werden soll und andere ausgeschlossen sind. Wo bleibt da die auch von der CDU so viel gepriesene Chancengleichheit?
Ich will es in aller Deutlichkeit sagen:
Die sächsische Mittelschule, die derzeit scheinbar als Vorbild gilt, hat sich in der Praxis inzwischen als ernsthaftes Problem erwiesen: Das Festhalten der Staatsregierung an den starren Normativen für die Schulformen (mindestens zweizügig in der Mittelschule und mindestens dreizügig im Gymnasium) hat
ein massives Schulsterben im Freistaat Sachsen verursacht. Bis zum Schuljahr 2005/2006 sind nach Angaben des Statistischen Landesamtes von ursprünglich 2.325 Schulen 724 geschlossen worden.
Das ist ein Drittel aller einmal im Freistaat vorhandenen Schulen, und auch das ist nicht die ganze Wahrheit. Eine detaillierte Untersuchung belegt, dass seit 1990 mehr als 1.000 Schulstandorte dicht gemacht worden sind, eine – wie ich finde – überaus bedrückende Zahl.
Von den Schließungen waren mindestens 238 Mittelschulen betroffen. Weitere 35 Mittelschulen standen im laufenden Schuljahr zur Schließung an und rund 20 Schulen hatten keine Genehmigung für die Bildung einer ersten oder fünften Klasse erhalten. Der Protest gegen diese Schulschließungspolitik war groß. Ein Volksbegehren „Zukunft braucht Schule“ gegen die starren Regelungen für Mittelschule und Gymnasium scheiterte Anfang 2003 nur knapp an der erforderlichen Zahl von 450.000 Unterschriften.
Die Ausdünnung des Schulnetzes hat beträchtliche soziale Kosten verursacht. So konstatiert beispielsweise der Sächsische Kinder- und Jugendbericht erhebliche Lücken in der soziokulturellen Infrastruktur des Landes. Die Autoren sprechen von „toten Dörfern“. Das sind Orte ohne Arzt, Kindergarten, Jugendclub, Kneipe und Einkaufsmöglichkeit. Von der Schule ganz zu schweigen. Zur „ländlichen Öde“ (auch das ein Zitat) sei das „Weggehen“ die „einzig zukunftsträchtige Alternative“,
heißt es in dem Bericht. Weil infolge der Abwanderung junger Menschen immer weniger Gleichaltrige da sind, „mit denen jugendkulturelle Stile“ und „überlokale Gesellungsformen“ ausprobiert und gelebt werden können, werde Vereinzelung zum Schicksal für die Dagebliebenen.
Eine weitere Folge der Schulschließungen, die gegen den Willen der kommunalen Träger und/oder der kommunalen Öffentlichkeit erfolgten, sind Initiativen zur Fortführung bislang kommunaler Schulen in freier Trägerschaft.
Die Gründung von Schulen in freier Trägerschaft weist einen deutlichen Schwerpunkt in Zeiten gehäufter Schließungen öffentlicher Schulen gleicher Art auf. Die in freier Trägerschaft fortgeführten Schulstandorte haben inzwischen vielfach nachgewiesen, dass es praktische Alternativen zu den staatlichen Strukturvorgaben gibt. Der Begriff Ersatzschule erhält hier einen ganz neuen Sinn.
Freie Träger nutzen dabei Potenziale, wie sie auch in vergleichbaren europäischen Regionen mit dünner Besiedelung und effektivem Schulsystem erfolgreich angewendet werden. Ich denke dabei an Nordskandinavien oder auch die Alpentäler. Allerdings führte das Anwachsen der Zahl freier Träger im allgemeinbildenden Bereich auch dazu, dass die Kosten für die Beschulung infolge des
Schülerrückganges insgesamt weiter angestiegen sind.
Mit Ausnahme der Förderschule nahm die Anzahl der Schulen in freier Trägerschaft in den drei allgemeinbildenden Schularten im Verlauf der vergangenen fünf Schuljahre deutlich zu. Am größten war der Anstieg bei den Mittelschulen. Im Schuljahr 2007/2008 besuchten 12,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler eine Schule in freier Trägerschaft. Der Schülerzuwachs beträgt 4 Prozent
und wächst weiter.
Mit seiner faktischen Dreigliedrigkeit aus Förderschule, Mittelschule und Gymnasium hat sich das sächsische Schulwesen hinsichtlich der demografischen Entwicklung als wenig anpassungsfähig erwiesen. Zwar führte der Schülerrückgang zu einer günstigeren Schüler-Lehrer-Relation an öffentlichen Schulen, weil der Gesetzgeber die Zahl der Lehrerstellen nicht linear mit den zurückgehenden Schülerzahlen verringerte. Die dadurch verbesserte personelle Ausstattung der Schulen führte aber nicht dazu, dass die zusätzlichen Ressourcen auch zur Verbesserung der
Bildungsqualität verwendet wurden.
Die vom Landtag eingesetzte Enquete-Kommission zu den Auswirkungen des demografischen Wandels im Freistaat Sachsen kommt zu dem Schluss, dass „der tendenziellen Entleerung einiger der Teilräume vor allem in der Oberlausitz und im Erzgebirge und der Abnahme der Schülerzahlen nicht mit der schieren Ausdünnung des Schulnetzes und der vor allem zeitlichen Verlängerung der Schülertransporte (mit steigenden Kosten für die Beteiligung der Eltern) allein zu begegnen“ sei und empfiehlt „intelligente Arrangements der Vermittlung von Wissen“ und „regional angepasste Lösungen“. Für letztere könne auf „Erfahrungen aus Skandinavien mit ähnlichen Verhältnissen der dünnen Besiedelung, aus Brandenburg sowie aus den Privatschulen und Schulreform-Projekten (wie z. B. den Jenaplan-Schulen) mit jahrgangsübergreifendem Unterricht und Internatsschulen, mit Projektwochen und Kurssystemen, mit mobilen Lehrern und mit E-Learning“ zurückgegriffen werden.
Dazu jedoch habe ich von Herrn Wöller leider nichts gehört.
Zumindest jedoch hat er erkannt, dass es im sächsischen Bildungswesen erhebliche regionale Unterschiede gibt. Diese vorhandenen Unterschiede erfordern im Regelfall auch regionale Lösungen.
Dabei geht es insbesondere darum, der Entstehung sozialer Brennpunkte entgegenzuwirken, und auch hier muss man den Realitäten ins Auge blicken.
Von der Armut im Freistaat Sachsen heißt es, dass sie „jung“ sei. Und sie ist, räumlich betrachtet, ungleich im Lande verteilt. Im Dezember 2007 lebten nach den Angaben im Bericht der Enquete-Kommission „Demografische Entwicklung“ in Sachsen 118.167 Kinder, das sind 27 %, auf Sozialhilfeniveau oder darunter. Bundesweit liegt die Quote bei 16,2 %. Extrem hohe Kinderarmutsquoten verzeichnen zum Beispiel die Städte Görlitz mit 43,7 % (bundesweit der höchste
Anteil) und Leipzig mit 37,4 % aller Kinder unter 15 Jahren in Hartz-IV-Haushalten. Die drei sächsischen Landkreise mit dem höchsten Anteil von Kindern in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften sind Löbau-Zittau mit 31,3 %, Döbeln mit 29,3 % und Torgau-Oschatz mit 29,1%.
Auch wenn die Staatsregierung immer wieder behauptet, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und der Höhe des Schulabschlusses in Sachsen vergleichsweise gering sei, so lässt sich erstens der Einfluss des Sozialmilieus auf Bildungsniveau und Bildungsbeteiligung nicht bestreiten undzweitens fällt ins Auge, dass die Zahl der Schulabgänger, die keinen oder nur einen niedrigen Schulabschluss erreichen, in den Armutsregionen deutlich größer ist als andernorts.
In Görlitz beträgt der Anteil der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss 12,1 %, in Leipzig 12 %, ebenso in Döbeln. Sachsenweit liegt die Quote nach offiziellen Angaben bei 8,7 %. Zählt man die Absolventen mit Hauptschulabschluss dazu – in Görlitz 10,3, in Leipzig 10,3 % und in Döbeln 13,4 % -, so verlassen die Schule in Görlitz 22,4 %, in Leipzig 22,3 % und in Döbeln 25,4 % der Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs die Schule ohne bzw. mit einem gering qualifizierten Abschluss. Damit verzeichnen wir mehr als ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs, die als „bildungsarm“ eingestuft werden müssen.
Die ungleiche sozialräumliche Verteilung der Bildungschancen im Freistaat Sachsen wird durch die angeführten Zahlen belegt. In sogenannten sozialen Brennpunkten kommt es zu einer Kumulation negativer Effekte bei Schülerinnen und Schülern, die sich nachteilig auf das Niveau der erreichten schulischen Abschlüsse auswirken.
Um auf derartige regionale Effekte wirksam reagieren zu können, erachtet die Linksfraktion im Landtag eine Regionalisierung der Bildungsplanung für sinnvoll. Zentraler Bestandteil regionalisierter Bildungsplanungen sollte die Gemeinschaftsschule sein, die aufgrund ihrer Struktur den Umgang mit
sozialer und kultureller Vielfalt ermöglicht. Zudem bietet die an Gemeinschaftsschulen zu praktizierende Integrationspädagogik die Chance, durch das Erlernen sozialer und kultureller Kompetenzen auch die Qualität schulischer Leistungen zu steigern. Deswegen sollte die Gemeinschaftsschule insbesondere dort eingerichtet werden, wo sich soziale Brennpunkte herausgebildet haben.
Ein zentraler Punkt unserer Forderungen besteht darin, diese strukturelle Ungleichheit zu bekämpfen.
Die angeführten Zahlen zur Armut in Sachsen verlangen jedoch nach mehr als Bildungspolitik, nämlich nach einer Bildungssozialpolitik, also der Verknüpfung von Sozial- und Bildungspolitik. Denn Bildung allein schützt nicht vor Armut.
Bildungsbeteiligung und Bildungserfolg sind keine ausschließlichen Schulprobleme.
Es gilt, sich klar zu machen, dass Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen soziokulturellen Milieus kommen und dass diese Milieus den späteren Schulverlauf nachhaltig prägen.
Kinderarmut wirksam zu bekämpfen erfordert vor allem, Strukturen sozialer Ungleichheit zu beseitigen.
Gerechter zu verteilen sind Erwerbsarbeit, Vermögen und Lebenschancen, um das gesellschaftlich bedingte Problem der Kinderarmut zu lösen. Ein politischer Wechsel vom schlanken zum interventionsfähigen Wohlfahrtsstaat, der für die soziale Lage seiner armen oder armutsgefährdeten Bürgerinnen und Bürger größere Verantwortung übernimmt, ist längst überfällig.
Darin unterscheidet sich eine linke und emanzipatorische von konservativer Bildungspolitik: Sie berücksichtigt die für die individuelle Selbstverwirklichung notwendigen Bedingungen in der Gesellschaft. Schulen sind zentraler Bestandteil der „sozialen Bedingungen der Selbstverwirklichung“.
Konservative deuten dagegen soziale Probleme in Erziehungsprobleme um. Jeder Einzelne trägt selbst die Verantwortung für das berufliche und gesellschaftliche Fortkommen. Von den Anstrengungen und Investitionen in die eigene Bildungsbiografie hänge es ab, ob die Integration in die Gesellschaft gelinge
oder nicht. Sozialer Ausschluss, Armut womöglich, gelten als Folge individuellen Versagens.
Ein anderes Stichwort aus Ihrer Rede, Herr Minister Wöller, ist der Sonderpädagogische Förderbedarf, und damit sind wir dann natürlich auch bei den Förderschulen.
Auch hier steht Sachsen alles andere als glänzend da. Im Schuljahr 1996/1997 betrug der Anteil der Förderschüler an der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler noch 4,5 Prozent. Im Schuljahr 2007/2008 waren es bereits 6,3 Prozent. Das heißt, der Anteil an der Gesamtschülerzahl ist in den letzten elf Jahren trotz des Geburtenrückgangs nach der Wende deutlich angestiegen. Nur zum Vergleich: Bundesweit liegt der Anteil der Förderschüler derzeit bei 4,8 Prozent.
Ein weiteres Stichwort von Minister Wöller lautet „Durchlässigkeit“. Auch nach Ansicht von Regierungschef Stanislaw Tillich braucht Sachsen mehr Durchlässigkeit im Schulsystem. Im Kern gehe es darum, Mädchen und Jungen aus der Mittelschule den Weg zum Gymnasium zu erleichtern. „Es gibt auch Spätzünder, die noch nicht nach Klasse 4 die Anforderungen des Gymnasiums erfüllen“, sagte Tillich vor wenigen Wochen im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. «Solchen Kindern darf der Weg zur Hochschulreife nicht verbaut sein.» Wenn Schüler die Ansprüche erst später schaffen, müssten auch sie die Chance zum Wechsel haben. «Das Gleiche gilt fürs Studium.»
Ja, unser aller Ministerpräsident sprach sogar davon, dass das längere gemeinsame Lernen kein Tabu mehr sei. Was für neue Töne, denen jedoch wieder keinerlei Taten folgten.
Die realen Fakten sind allerdings ernüchternd:
Nach einer Statistik des Kultusministeriums wechseln nämlich derzeit nur sehr wenige Schüler von der Mittelschule wirklich auf das Gymnasium. Im Schuljahr 2007/2008 waren das nach der 5. Klassenstufe gerade mal 0,08 Prozent. Auch nach Klasse 6 (1,7 Prozent), Klasse 7 (0,5), Klasse 8 (0,03) und Klasse 10 (0,7) wählte nur kleiner Bruchteil den Weg zur Reifeprüfung. All das bestätigt unsere Auffassung, dass die Trennung der Kinder nach Klasse 4 eindeutig zu früh erfolgt und in den
allermeisten Fällen auch nicht reparabel ist.
Herr Staatsminister, an anderer Stelle Ihrer Rede haben Sie die Tätigkeit eines Pädagogen als „attraktiven Vollzeitberuf“ bezeichnet. Wir stimmen mit Ihnen darin überein, dass es dringend notwendig ist, die gesellschaftliche Anerkennung der Lehrerinnen und Lehrer erhöhen, nicht zuletzt nachdem so mancher ihrer Amtsvorgänger einiges dazu beigetragen haben, deren Ruf immer weiter zu beschädigen, was wir als LINKE wiederholt kritisiert haben.
Die Leistungen des sächsischen Bildungswesens beruhen in der Tat maßgeblich auf den Leistungen, die die sächsischen Lehrerinnen und Lehrer erbringen. Da hat der Minister ausnahmsweise einmal recht. Die Pädagogen erwarten von der Regierung jedoch nicht nur wohlfeile Worte, sondern endlich handfeste Taten, und Fakt ist: Der vorliegende Haushaltsentwurf garantiert weder eine Vollzeitbeschäftigung der Lehrerinnen und Lehrer noch sichert er gute Rahmenbedingungen an den
sächsischen Schulen.
Der Haushalt widerspricht auch der Ankündigung des Kultusministers, gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer im Freistaat Sachen halten zu wollen. Denn der Haushaltsentwurf sieht einen extremen Stellenabbau im Bereich der Referendare in Höhe von 452 Haushaltsstellen vor. Betroffen sind hiervon alle Schularten. DIE LINKE dagegen fordert keine Absenkung, sondern eine Erhöhung der Stellen für Referendare, um den künftigen Bedarf an Lehrkräften in Sachsen zu sichern und eine notwendige Verjüngung der Lehrerschaft einzuleiten. Notwendig wäre weiter eine Absenkung der Pflichtstundenzahlen, insbesondere im Grundschulbereich, denn dort haben die Lehrerinnen und Lehrer durch die jahrelangen Teilzeitregelungen schon mehr als genug zur Haushaltssanierung beigetragen.
Und noch ein letzter, aus Sicht der LINKEN jedoch alles andere als unwichtiger Kritikpunkt: Es ist ebenso bezeichnend wie beschämend, dass Sie in Ihrer Rede kein einziges Wort zum sorbischen Schulwesen verloren haben. Die Schließung der Sorbischen Mittelschulen in Crostwitz und Panschwitz-Kuckau – dem Wohnort des Ministerpräsidenten – hat das ohnehin nicht allzu große sorbische Schulnetz so weit ausgedünnt, dass bei Schülern und Schülerinnen sorbischer Grundschulen zunehmend der Trend einsetzte, einsprachig-deutsche Mittelschulen zu besuchen.
In diesem Schuljahr waren es – laut Presseberichten – allein von den Abgängern der Sorbischen Grundschulen in Panschwitz-Kuckau und Räckelwitz 20 %, auf die das zutrifft. Damit hat die Ausdünnung des sorbischen Schulnetzes auch bisher sicher geglaubte Schulstandorte mit in den Abwanderungstrend gezogen.
In diesem Kontext ist es völlig inakzeptabel, dass dann auch noch zusätzlich ein besonderer Bus geplant wird, mit dem die einsprachig-deutschen Mittelschulen leichter erreicht werden können, während andererseits die erforderliche Unterstützung für den Transport von Schülern aus entlegeneren Dörfern an das Sorbische Gymnasium Bautzen nicht in jedem notwendigen Fall gewährleistet wird.
Schier die Sprache verschlägt es einem, wenn Eltern die zur Sicherung der zweisprachigen Bildung ihrer Kinder den Rechtsweg beschreiten, per Gerichtsbescheid gesagt bekommen, dass der Schulweg zum Sorbischen Gymnasium zwar in der Tat unzumutbar lang sei, sich aber doch in zumutbarer
Entfernung ein anderes, nicht-sorbisches Gymnasium befinde.
Aus Sicht der LINKEN besteht hier dringender Handlungsbedarf, denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung der Landesverfassung, und der darin verankerten Minderheitenrechte des sorbischen Volkes.
Ich will gar nicht verschweigen, dass es in der Regierungserklärung von Herrn Wöller auch positive Aspekte gibt, wie zum Beispiel die Zusammenfassung der Zuständigkeit für die Bildungsfragen in einen Ministerium. Genau das hatte DIE LINKE seit Jahren gefordert.
Aber alles in allem blieb die heutige Regierungserklärung weit unter unseren ohnehin schon nicht hohen Erwartungen zurück.
Für DIE LINKE will ich deshalb folgende grundsätzliche Positionen formulieren:
Bildung ist die zentrale Grundlage für die spätere Lebensbewältigung, für eine nicht zuletzt auch berufliche Perspektive.
Bildung entscheidet ganz wesentlich über sozialen Auf- oder Abstieg und über die tatsächlichen Möglichkeiten der Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen. Bildung ermöglicht den Zugang zu Kultur und schafft die Voraussetzungen, die ein eigenständiges lebenslanges Lernen erst
möglich machen. Bildung entscheidet letztlich auch über Erfolg oder Misserfolg von
Integrationsmaßnahmen für Zuwanderer.
Ja, man kann sogar sagen: „Bildung ist der Schlüssel zu allem!“
Ich habe bereits in der 1. Lesung zum Haushalt darauf verwiesen, dass der Freistaat jährlich viel Geld im Bildungsbereich einsetzt: für Kitas, Schulen, Berufsausbildung und Hochschulen einsetzt, insgesamt eine Summe von über drei Milliarden Euro. Das sind mehr als 20 Prozent des Landeshaushaltes.
Doch die Ergebnisse dieses Mitteleinsatzes – auch hier wiederhole ich mich –
halten einer kritischen Prüfung nicht einmal ansatzweise stand. Nach wie vor erlangen ca. neun Prozent eines Jahrgangs – das sind mehr als 4.000 Jugendliche jährlich – nicht mal einen Hauptschulabschluss. Früher lag die Quote sogar deutlich über zehn Prozent. Das bedeutet: In 17 Jahren CDU-geführter Regierung haben fast 90.000 Schülerinnen und Schüler in Sachsen die Schule ohne jeden Abschluss verlassen.
Hinzu kommen noch einmal zehn Prozent der Schüler, die einen so schlechten Haupt- und Realschulabschluss haben, dass ihnen kaum eine berufliche Perspektive bleibt. Jeder fünfte Schulabgänger ist also bereits abgehängt, bevor sein eigenständiges Leben so richtig begonnen. Das darf so nicht bleiben, und wir werden das ändern!
Das aus unserer Sicht notwendige lebenslange Lernen bedarf, um erfolgreich zu sein, einer Gesamtstrategie, und das heißt aus unserer Sicht einer Vernetzung von Reformen im Vorschul- und Schulbereich mit der Hochschulentwicklung.
Wir brauchen aber nicht nur eine Debatte über Schulstrukturen, wir brauchen vor allem auch eine neue Form der Kultur an unseren Schulen.
Für Sachsen gelten im Kern folgende bildungspolitische Ziele der LINKEN:
Wir wollen einen umfassenden Ausbau des Betreuungssystems vor der Schule, denn hier werden wichtige Grundlagen für die spätere Entwicklung gelegt. Wir wollen, dass alle Kinder frühzeitig gemeinsam mit anderen Kindern aufwachsen und sich spielerisch in Gemeinschaft entwickeln können.
Eine Schule für alle ist das Gebot der Zeit. Wir wollen, dass in der Gemeinschaftsschule eine anspruchsvolle und moderne Allgemeinbildung vermittelt wird. Wir wollen Schulen, die keine Lernfabriken sind, sondern als Entwicklungsräume die Förderung und Entwicklung jedes Einzelnen in
den Mittelpunkt stellen.
Jeder und jede soll gefördert, Teilhabe ermöglicht und Benachteiligungen, die den Zugang zu besserer Bildung behindern, sollen ausgeglichen werden. Wir wollen perspektivisch erreichen, dass alle Heranwachsenden wenigstens den erfolgreichen Abschluss der 10. Klasse erreichen können.
Wir wollen, dass mehr junge Leute das Abitur erwerben oder über andere Wege eine
Hochschulzugangsberechtigung erlangen.
Wir wollen, dass mehr junge Menschen als bisher ein Hochschulstudium beginnen und erfolgreich abschließen können. Und das natürlich ohne Studiengebühren, die Sachsen drohen, sollte SchwarzGelb im nächsten Jahr an die Macht kommen. Hochschulen müssen demokratisch sein und die Zugänge möglichst offen gestaltet werden.
Wir wollen eine starke öffentliche Bildung – den zunehmenden Privatisierungsbestrebungen in diesem Bereich erteilen wir eine klare Absage!
Die personellen und sächlichen Bedingungen für bessere Bildung müssen gesichert werden. Notwendig ist dabei auch eine umfassende Reform der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie anderer pädagogischer Fachkräfte. Studium und praktische Ausbildung der Pädagogen müssen wieder enger miteinander verzahnt werden. Und schließlich:
Das Recht auf Weiterbildung muss in unserer schnelllebigen Gesellschaft dauerhaft gesichert werden.
Dazu bedarf es auch einer Stärkung der sächsischen Volkshochschulen.
Aus alledem ergibt sich für mich:
Die ersten zehn Jahre nach der Wende waren für Sachsen Jahre des Um- und Aufbruchs sowie der demokratischen Neugestaltung. Die zweiten zehn Jahre im Freistaat waren geprägt von Konsolidierung und zunehmender Stagnation.
Das dritte Jahrzehnt in Sachsen nach 1989 muss das Jahrzehnt der Bildungsoffensive werden.
Und zwar einer Bildungsoffensive, die nicht mehr von der CDU dominiert wird.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, Herr Minister, ich komme noch einmal auf meine Eingangsbemerkungen zurück. Es hat sich meiner Fraktion nicht
wirklich erschlossen, warum Sie gerade heute eine Fachregierungserklärung abgegeben haben. Sofern es um den kürzlich vorgelegten Bildungsbericht geht, so haben Sie damit persönlich so gut wie nichts zu tun, denn dafür sind Sie erst zu kurz im Amt. Sofern Sie Zeichen für die Zukunft setzen wollten, so fehlen Ihnen nicht nur Visionen, sondern Sie werden dafür auch nicht lange genug im Amt sein.
Sachsen braucht eine moderne und zukunftsorientierte Bildungspolitik. DIE LINKE arbeitet daran und wird für die notwendigen Veränderungen sorgen.
Herzlichen Dank!