Rede zur Verabschiedung des langjährigen Fraktionsgeschäftsführers Andreas Graff
Dresden, 15. Dezember 2008
Lieber Andreas,
sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr verehrte Gäste,
Mitstreiterinnen, Mitstreiter,
Weggefährtinnen und Weggefährten,
„Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt,
der andere packt sie kräftig an und handelt.“
Dieser Spruch von Dante Alighieri könnte Dein Lebensmotto sein, lieber Andreas.
So, wie es an solch feierlich, traurig-fröhlichen Tagen wie heute, zu Deiner Verabschiedung üblich ist, wird ein wenig Rückschau gehalten, Deine Vita betrachtet und – hier kann ich Sie, kann ich Euch und Karl Nolle vorab beruhigen – nichts bisher Verschwiegenes oder Umgeschriebenes ans Tageslicht gelangen.
Dein Lebensweg ist so klar und geradlinig, wie Du selbst es für uns und mich stets gewesen bist.
Am 22. Januar 1943 wurdest Du in der Stadt Meißen geboren. Es war eine harte und bittere Zeit, denn der schreckliche Krieg und seine Folgen prägten logischerweise auch Deine Kindheit. Dein Vater war Maurer, Deine Mutter Köchin – erst im Pfarrhaus der Evangelischen Akademie, später dann in verschiedenen Meißner Betrieben, volkseigenen…
Dass Du heute ein so einfühlsamer Mensch und ein guter Frauenversteher geworden bist, liegt sicher daran, dass Du mit Deiner größeren Schwester in stabilen, guten Familienverhältnissen aufgewachsen bist.
Von Anfang an warst Du nicht nur lernwillig, sondern auch engagiert und aktiv in Deiner Freizeit tätig. Du besuchtest verschiedene Arbeitsgemeinschaften innerhalb der Pionierorganisation und zeichnetest Dich durch besonderen Einsatz im Zentralen Pionierblasorchester aus.
Du bist jedoch nicht nur Mitglied der FDJ geworden, sondern warst ebenso interessiert in der Jungen Gemeinde Meißen tätig.
So konntest du frühzeitig erkennen, dass Sozialisten und Christen viel mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes in ihrer Lebensauffassung und Lebens-einstellung haben und durchaus tolerant, ohne Berührungsängste, auch zukünftigen Begegnungen entgegensehen.
Was manche heute nicht mehr wahrhaben wollen, hat es eben zu DDR-Zeiten auch gegeben. Bis heute können ja einige CDU-Kollegen so gar nicht begreifen, dass ich als Fraktionschef der LINKEN mit einer Frau verheiratet bin, die nicht nur religiös gebunden ist, sondern vor kurzem auch in den Vorstand der Kirchgemeinde gewählt wurde.
Lieber Andreas, nach 8 Jahren Schulbesuch in Meißen hast Du Dich entschlossen, erst einmal in den Fußstapfen Deines Vaters zu gehen und nach einer Lehre von 1958 bis 1961 in Riesa den Facharbeiterabschluss als Maurer erfolgreich erlangt.
Du wolltest Dich weiter intensiv in das gesellschaftliche Leben einbringen und wurdest nach dem damals erforderlichen Kandidatenjahr 1962 Mitglied der SED.
Es folgte ein Jahr Tätigkeit im Kreisbau Meißen. Aufzubauen gab es in der DDR ja weiß Gott genug. Bald gab es für Dich jedoch kein Halten mehr und Du wurdest Leiter einer Jugendbrigade im Großjugendprojekt: Aufbau des Erdölkombinates in Schwedt.
So wie ich Dich kennenlernen durfte, glaube ich nicht, dass es dazu eines irgendeines Parteiauftrages bedurfte, denn hier konnten jugendliche Abenteuerlust, gepaart mit Fachwissen und einer klaren Zielvorstellung gebündelt werden und es entstand durch Eurer Hände Arbeit etwas, worauf Ihr mit Recht stolz sein konntet.
Und mal ehrlich, die Stadt Meißen ist zwar sehr schön, mittelalterlich und verwinkelt, aber für einen jungen, tatendurstigen Mann der damaligen Zeit (der Rock`n-Roll bahnte sich via Rundfunk auch in unsere Gefilde gerade seinen Weg) war sie sicher auch manchmal etwas zu klein, oder?
Nach den obligatorischen 18 Monaten bei der Nationalen Volksarmee, also bei der Fahne – wie es damals hieß – wurdest Du neben Deiner beruflichen Tätigkeit als Maurer auch FDJ-Sekretär im VEB Bauwerke Meißen.
Wenn meine Berechnungen mich nicht täuschen, ist Dir bereits zu dieser Zeit eine ganz junge, liebe Lehrerin über den Weg gelaufen.
Eva Strittmatter hat wunderbar beschrieben, wie es damals vielleicht gewesen ist:
Die eine Rose
Die eine Rose überwältigt alles,
Die aufgeblüht ist aus dem Traum.
Sie rettet uns vom Grund des Falles.
Schafft um uns einen reinen Raum,
In dem nur wir sind und die Rose.
Und das Gesetz, das sie erweckt.
Und Tage kommen, reuelose.
Vom Licht der Rose angesteckt.
Wie diese Geschichte weiterging, werden wir noch hören.
In den Jahren 1967 bis 1968 besuchtest Du die Bezirksparteischule, und nach erfolgreicher Weiterbildung konntest Du bis 1973 verschiedene hauptamtliche Funktionen innerhalb der FDJ wahrnehmen.
Aber Du wärst nicht der Andreas, den wir kennen, wenn Du Dich damit zufrieden gegeben und darin eingerichtet hättest.
Nein, mit 25 Jahren hast Du dich entschlossen, an der Volkshochschule das Abitur nachzuholen und Dich auf ein Hochschulstudium vorzubereiten. Du warst zielstrebig, jedoch nie ein Streber und hast weitere Bildungswege beschritten, die uns jede Hochachtung Dir gegenüber abverlangen.
1971-1974 hast Du im organisierten Selbststudium an der Akademie für Staat und Recht in Potsdam den Abschluss als Diplom-Staatswissenschaftler erlangt. Da wir als LINKE für eine differenzierte Sicht auf die Geschichte stehen, sei eingeräumt, dass Stanislaw Tillich an dieser Einrichtung nicht drei Jahre, sondern nur knapp drei Monate verbrachte. Geworden ist aus Euch beiden etwas.
Herr Tillich wurde Mitglied im Rat des Kreises und ist heute Ministerpräsident, Du warst im Anschluss an die Akademie Mitarbeiter der SED-Kreisleitung Meißen, Leiter der Jugendkommission, dann zwei Jahre lang Sekretär und bist heute Geschäftsführer der LINKEN im Landtag.
4ber zurück in die Chronologie: 1980 bis 1983 besuchtest Du die Karl-Marx-Hochschule der SED und konntest erfolgreich Dein Diplom als Gesellschaftswissenschaftler verteidigen.
Ohne das Verständnis und die Unterstützung Deiner lieben Frau und Deiner Familie hättest Du vermutlicht einiges nicht so gut geschafft und manche Belastungen auch nicht so gut ertragen können.
Deshalb ist auch heute im Gender-Zeitalter wichtig, die Frauen erfolgreicher Männer nicht zu vergessen, denn sie haben einen ganz erheblichen Teil der Haushalt- und Erziehungslasten geschultert und ihren Männern – so gut es ging – den Rücken freigehalten.
Danke, liebe Monika, dass Du so stark warst und bist, und dass wir auch dadurch diesen tollen Mann 18 Jahre lang hier erleben und erfolgreich wirken sehen konnten!
Weitergebildet und gut gerüstet warst Du, Andreas, bereit, neue Aufgaben mit noch mehr Verantwortung zu übernehmen. 1983 bis 1985 warst Du stellvertretender Abteilungsleiter Staat und Recht in der Bezirksleitung der SED und von 1985 bis 1989 Abteilungsleiter der Bezirksleitung der SED, also quasi das Pendant zu unserem ersten Fraktionsvorsitzenden Klaus Bartl, der dieses Amt im damaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt inne hatte.
Von 1987 bis 1990 konntest Du als Abgeordneter des Bezirkstages Dresden und zuletzt ab 1989 auch Vorsitzender der Fraktion der SED-PDS auch erste parlamentarische Erfahrungen sammeln, wenngleich wir alle wissen,3ß
dass diese mit dem Landtag von heute nicht verglichen werden können.Das für uns alle so prägende Jahr 1989 hat auch für Dich viele Veränderungen gebracht, sicher auch Unsicherheiten und Selbstzweifel, aber doch keinen Abbruch Deines inneren und beruflichen Weges.
Trotz aller Belastungen war es sicher gut, dass Du sofort gebraucht wurdest und Dich am Runden Tisch des damaligen Bezirkes Dresden einbringen konntest. Als Mitglied der AG des Runden Tisches und des Landes Baden-Württemberg zur inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitung des Sächsischen Landtages hast Du Dich mit all Deiner Sach- und Fachkompetenz u.a. in die Erarbeitung einer neuen Kommunalverfassung eingebracht. Auch das war Pionierarbeit, diesmal ohne Halstuch – aber mit dem Ziel, haltbare Brücken zu bauen für den Übergang zu anderen, demokratischen Strukturen.
Durch Dein Wirken hast Du den meisten der heute hier Anwesenden mit ermöglicht, neue Wege zu gehen, sich aktiv in der so wichtigen Oppositionsrolle in die Arbeit des Landtages einzubringen – auch dafür gebührt Dir unser Dank.
Du hast mit anderen dazu beigetragen, dass nicht alle Entwicklungen nach den Wende fremdbestimmt wurden, sondern auch ostdeutsche Lebenserfahrungen Eingang fanden in die Diskussion um den richtigen Kurs nach dem Anschluss der DDR an die BRD nach Artikel 23 des Grundgesetzes.
Es waren Menschen wie Du, die nicht bereit waren, alle früheren Ziele und Überzeugungen einfach über Bord zu werfen und die ehrlichen Herzens ihrer Lebenslinie folgten und dadurch bei allen Problemen mit zum Gelingen der deutschen Einheit beigetragen haben.
Ich persönlich habe großen Respekt vor jenen, die zu DDR-Zeiten unter schwierigen Bedingungen aufgrund ihrer politischen Positionen Widerstand geleistet haben, aber ich bin der Auffassung, dass auch jene Respekt verdienen, die wie Andreas Graff auch unter geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen immer ihren Idealen treu geblieben sind.
1990 wurdest Du, Andreas, zum Leiter des Wahlkampfes für die SED-PDS in Sachsen und zu einem wichtigen Referenten auf dem 1. Parteitag des neu gegründeten Landesverbandes in Leipzig. Dein damaliges Thema lautete: „Die Aufgaben der SED-PDS für die Wahl einer starken Oppositionsfraktion aus SED-PDS, KPD, MJV Junge Linke, der FDJ und der Nelken im Sächsischen Landtag“.
Durch Deine Arbeit hast Du wesentlich die zukünftige Entwicklung unserer Partei und auch des Landes Sachsen beeinflusst. Die damals kandidierende Linke Liste/PDS konnte mit 17 Abgeordneten in den ersten Sächsischen Landtag einziehen und musste das parlamentarische Einmaleins wie alle anderen fast von der Pike auf neu lernen.
Du hast uns dabei immer nach Kräften unterstützt und hast den Reichtum Deiner Erfahrungen an uns weitergegeben.
Ohne Dein Engagement als Fraktionsgeschäftführer wären wir nicht dort wo wir jetzt stehen. Wer hätte 1990 gedacht, dass heute nicht nur in den Medien ernsthaft darüber diskutiert wird, ob es im kommenden Jahr einen Ministerpräsidenten der LINKEN in Sachsen geben könnte. Bis dahin ist es sicher noch ein weiter Weg, aber dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt, hat auch mit Deinen Einsatz und mit Deinem Wirken innerhalb unserer Landtagsfraktion zu tun.
Wenn man an die Anfänge der Fraktion in einem Container außerhalb des Landtages denkt, in dem wir mehrere Jahr zubrachten, dann wird einem erst bewusst, was wir in den vergangenen Jahren gemeinsam erreicht haben.
Und daran hast Du, lieber Andreas, erheblichen Anteil. Du bist der langgedienteste Fraktionsgeschäftsführer hier in diesem Haus und Du hast in Deiner Amtszeit mit Klaus Bartl, Peter Porsch und mir drei Fraktionsvorsitzende, drei parlamentarische Geschäftsführer, ein Dutzend stellvertretende Fraktionsvorsitzende und – wenn ich richtig gezählt habe – mehr als zwanzig Arbeitskreisleiter erlebt.
Bei allen Schwierigkeiten im Einzelfall hast Du mit allen gut, sachorientiert, erfolgreich und immer loyal zusammengearbeitet. Auch dafür ganz herzlichen Dank.
Und ich möchte auch noch einen sehr persönlichen Dank anschließen. Als ich 1991 in der Landtagsfraktion als wissenschaftlicher Mitarbeiter angefangen habe, warst Du für mich so etwas wie eine Vaterfigur, denn der zweite Mann meiner Mutter – heute 81 Jahre alt – hatte eine sehr ähnliche Biografie wie Du.
Du warst von Anfang an die gute Seele der Fraktion, hattest Verständnis für meine kleinen und vielleicht auch größeren Schwächen und vor allem immer ein offenes Ohr, wenn es irgendwelche Probleme gab.
Ich war kaum vier Monate Mitglied des Landtages, als ich 1995 nach internen Kontoversen parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion wurde. Ohne Dich hätte ich diese große Herausforderung nicht bestanden.
Du, lieber Andreas, warst in guten wie in schwierigen Zeiten im wahrsten Sinne des Wortes in allen Fragen immer für mich da, und ich möchte Dir für dieses Vertrauen und diese Unterstützung ganz herzlich danken.
Du hast in der Mitarbeiterführung hohe Maßstäbe gesetzt, hast immer ein offenes Ohr für deren Sorgen und Nöte gehabt. Und auch wenn Du natürlich hin und wieder unbequeme Entscheidungen zu treffen hattest, wurde Deine Autorität innerhalb der Fraktion nie in Frage gestellt. Auch darauf kannst Du mit Recht stolz sein.
Das gilt natürlich auch für die Verwaltung der Fraktionsfinanzen. Bisweilen hast Du hier den Beinamen „implantierter Rechnungshof“ erhalten und dennoch immer versucht, die Anliegen der Abgeordneten im Rahmen des rechtlich Zulässigen möglich zu machen. Dass wir bei sämtlichen Kontrollen des Landesrechnungshofes im Landtag – und natürlich hat man gerade bei uns besonders genau hingesehen – mit Abstand immer am besten abgeschnitten haben, ist deshalb vor allem auch Dein Verdienst, lieber Andreas.
Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass Du neben der Arbeit im Landtag auch in diverse Funktionen ehrenamtlich tätig warst und bist.
So beispielsweise als stellv. Kreisvorsitzender der PDS, als Pressesprecher der Bürgerinitiativen gegen überhöhte Kommunalabgaben in Meißen Meißen, als Vorstandsmitglied des „Hauses für Vieles“, als Mitglied des Kreisverbandes der Linken von Meißen, Riesa und Großenhain und wieder als Leiter des Wahlkampfteams. So schließt sich der Kreis zu 1990.
Vielleicht ist jetzt der Eindruck entstanden, es gäbe Dich nur als workoholic. Nun gut, ein bisschen stimmt das schon, aber wir wollen auch Deine andere Seite nicht vergessen.
Da ist der liebende Ehemann, der viel Verständnis für seine große Familie und seine tolle Frau hat.
Er hatte stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Belange, ganz besonders in der kräftezehrenden Zeit ihrer Tätigkeit als Berufsbetreuerin. Dass zwei der geliebten Enkelkinder in Nürnberg und Stuttgart gelandet sind, ist ein Wermutstropfen im Kelch der Freiheit.
Aber mit Deiner Monika und mit Uller lebst Du in einem gastfreundlichen, idyllischen Haus in Meißen mit einem herrlich großen Garten und mit Hilfe deiner modernen Technik und Dolby surround kannst Du hoffentlich künftig noch mehr als bisher abschalten und in Gedanken auf Reisen gehen…
Zum Abschluss zu dem, was wir Dir /Euch zum Abschied wünschen:
Als erstes natürlich Gesundheit, ganz besonders für Deine Moni, die ja in letzter Zeit erheblich bebeutelt wurde, für Dich möglichst wenige Entzugserscheinungen von der Arbeit, aber dennoch ein ein gesundes Maß an Sehnsucht nach uns. Ich wünsche Dir Erholung von allen PGF´s und allen Fraktionsvorsitzenden mit ihren persönlichen Eigenheiten, ich wünsche Dir Zeit für Deine Kinder und Enkelkinder, ich wünsche Dir Liebe, Glücksmomente, Fantasie und natürlich endlich Gelegenheit, auch mal so richtig auszuschlafen.
Amos Bronson Alcott hat einmal gesagt:
„Sich ein unverrunzeltes Herz zu bewahren, zuversichtlich, freundlich, liebenswürdig und ehrwürdig zu sein, das bedeutet, über das Alter zu triumphieren.“
Lieber Andreas, ich persönlich und ich denke auch wir alle wünschen Dir diesen Triumph! Alles Gute für Dich und noch einmal herzlichen Dank für das, was Du uns gegeben hast!