Sachliche Kriminalpolitik statt weiterer Eingriff in Bürgerrechte!

Neue Eingriffsbefugnisse für die Polizei, die tief in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger eingreifen, schaffen nicht mehr Sicherheit, gefährden aber den Rechtsstaat. Damit die Sicherheitsbehörden besser arbeiten, ist eine Reform ihrer inneren Struktur erforderlich. Das Problem bei der Terrorismusbekämpfung ist nicht ein Mangel an Gesetzen, sondern Mängel beim Vollzug!


Rede im Wortlaut:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich für meine Fraktion, DIE LINKE, eines gleich zu Beginn festhalten – damit schließe ich an die Ausführungen des Kollegen Hartmann an –: Es gibt keine absolute Sicherheit vor terroristischen Anschlägen, schon gar nicht bei mehr oder weniger spontanen Taten von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen. Ich füge hinzu: Der Staat darf auch nicht den Anschein erwecken, dass es eine solche absolute Sicherheit vielleicht doch geben könne, schon gar nicht um den Preis eines immer weiter gehenden Abbaus von Grund- und Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei wird DIE LINKE definitiv nicht mitmachen. Ich finde es schon einigermaßen befremdlich, dass gerade die angeblich so liberale FDP nun offenbar genau in diese Richtung marschieren will.

(Benjamin Strasser [FDP]: Wo denn? An welcher Stelle des Antrags?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch zwei Jahre nach dem furchtbaren Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, bei dem 12 Menschen getötet und mehr als 70 verletzt worden sind, sind viele Fragen unbeantwortet.

(Benjamin Strasser [FDP]: So ist es!)

Im Kern geht es darum, warum der Attentäter Amri, der geradezu umstellt war von V-Leuten unterschiedlicher Sicherheitsbehörden, nicht rechtzeitig gestoppt werden konnte.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ganz offensichtlich bestehen innerhalb der Sicherheitsbehörden und bei deren Zusammenarbeit untereinander eklatante Abstimmungs- und Vollzugsdefizite. Brauchen wir deshalb aber eine neue Föderalismusreform, wie es die FDP-Fraktion in ihrem Antrag nahelegt? Würden neue, zentralisierte Sicherheitsstrukturen wirklich helfen, dass unsere Polizeibehörden besser arbeiten? Ich habe da erhebliche Zweifel, zumal die beiden letzten Föderalismusreformen alles andere als eine Erfolgsgeschichte waren.

(Beifall bei der LINKEN – Benjamin Strasser [FDP]: Na ja!)

Entscheidend ist doch wohl eher, dass die Polizei die ihr vorliegenden Informationen richtig bewertet sowie Gefahrensituationen und Verdächtige zutreffend einschätzt. Auf diesem Gebiet lagen doch die zentralen Versäumnisse im Fall von Anis Amri. Deshalb ist es unzweifelhaft notwendig, dass wir uns Gedanken machen, wie wir zu einer verbesserten Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden kommen können. Ich denke, dass wir vor allem eine Reform der inneren Strukturen und der Kommunikationswege in der Polizei und mit ihren Partnern benötigen.

Am Anfang einer solchen Reform muss aus Sicht der Linken die Erkenntnis stehen, dass Fehler gemacht wurden, und es muss der ernsthafte Wille vorhanden sein, aus diesen Fehlern zu lernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und da, meine Damen und Herren, bin ich doch sehr verwundert über die bei den Behörden vorherrschende Wagenburgmentalität, mit der wir immer wieder konfrontiert sind. Es ist ein Unding, dass zahlreiche Sachverhalte auch zwei Jahre nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz immer noch nicht vollständig aufgeklärt sind. Für die Hinterbliebenen der Opfer und die Verletzten des Anschlags ist dies ein unhaltbarer Zustand. Hier muss die Bundesregierung endlich liefern.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich war als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste gestern Nachmittag im Bundesinnenministerium, um die beim Militärischen Abschirmdienst und beim Bundesamt für Verfassungsschutz vorliegenden Akten zu möglicherweise existierenden rechtsextremen gewaltbereiten Netzwerken in der Bundeswehr sowie in anderen Sicherheitsbehörden durchzusehen. Ich selbst hatte dazu mehrfach parlamentarische Anfragen gestellt, auch in der Fragestunde die Bundeskanzlerin damit konfrontiert. Sie erklärte, davon nichts zu wissen, und der Verfassungsschutz behauptete, dazu keine relevanten Erkenntnisse zu haben.

Gestern im Innenministerium kam ich in einen Raum mit über 60 Aktenordnern zu diesem Thema, für deren Studium ich Wochen, wenn nicht Monate bräuchte, zumindest dann, wenn uns Oppositionsfraktionen nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, dass auch unsere sicherheitsüberprüften Mitarbeiter diese Akten lesen und uns zuarbeiten können. Aber es stellt sich natürlich grundsätzlich die Frage, wie es sein kann, dass die Bundesregierung seit Monaten behauptet, keine Kenntnis von rechtsextremen Netzwerken in der Bundeswehr und in anderen Sicherheitsbehörden zu haben,

(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Weil es die nicht gibt! Meine Güte!)

wenn die eigenen Dienste bereits Tausende Seiten dazu zusammengetragen haben. Es ist völlig inakzeptabel, wie man hier mit dem Parlament umgeht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kein Zweifel, die Regierung muss endlich ein deutlich stärkeres Engagement bei der Aufklärung an den Tag legen. Vor allem sollte sie nicht länger diejenigen behindern, die zum Beispiel in Untersuchungsausschüssen herausfinden wollen, was tatsächlich schiefgelaufen ist. Es ist ein dunkles Kapitel deutschen Behördenversagens, das dort ans Licht kommt. Die Bundesregierung blockiert bis heute, auch im Amri-Untersuchungsausschuss, wo sie kann: Akten werden verweigert, Seiten werden geschwärzt, und zu Befragungen kommen Zeugen, die nichts zu sagen haben. Linke, FDP und Grüne müssen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, weil die Bundesregierung sich weigert, die Befragung von V-Mann-Führern zuzulassen.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)

Das ist mit Sicherheit die falsche Lehre aus den Fehlern im Zusammenhang mit dem Attentat.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die FDP-Fraktion möchte, dass die Zuständigkeiten zwischen den Polizeibehörden des Bundes und der Länder neu geregelt werden. Der Antrag verkennt jedoch, dass diese bereits klar festgelegt sind: Im BKA-Gesetz ist eindeutig beschrieben, in welchen Fällen das Bundeskriminalamt bei der Strafverfolgung oder bei der Gefahrenabwehr tätig wird und in welchen Situationen ein Selbsteintrittsrecht besteht. Unser Problem, meine Damen und Herren, ist nicht ein Mangel an Gesetzen; unser Problem sind Mängel im Vollzug.

(Beifall bei der LINKEN)

An die Adresse der AfD gerichtet füge ich hinzu: Die von Ihnen geforderte Bundesbehörde für Gefahrenabwehr existiert bereits: Das Bundeskriminalamt gibt es seit 1951.

Mit dem zweiten AfD-Antrag, der mehr ein rassistisches Pamphlet

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

als eine parlamentarische Initiative ist, will ich mich eigentlich gar nicht auseinandersetzen.

(Martin Hess [AfD]: Dann tun Sie es nicht!)

Nur so viel: Wer schützt eigentlich die Bevölkerung vor den Gefährdern aus Ihren Reihen?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie und Ihre Hilfstruppen sind aktuell eine der größten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und den inneren Frieden in diesem Land.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Ich finde – letzte Bemerkung –, wir müssen insgesamt zu einer sachlichen Kriminalpolitik zurückfinden,

(Lachen bei der AfD)

in der der Rechtsstaat, in der die Grund- und Freiheitsrechte nicht als Hindernis für polizeiliche Arbeit wahrgenommen werden, sondern endlich wieder als das eigentlich zu schützende Gut.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)