Sachsen-Etatentwurf: Soziales geschröpft, Investitionen gestrichen – Kabinett Tillich mit substanzloser Symbolpolitik
Die Landtagsfraktion der LINKEN beschäftigte sich auf ihrer Klausur mit dem Regierungsentwurf des Landeshaushaltes 2011/2012 und den Alternativen der LINKEN. Dazu sagte der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, Dr. André Hahn u. a.:
Nach der von der Staatskanzlei selbst in Auftrag gegebenen Umfrage hat Schwarz-Gelb in Sachsen keine Mehrheit mehr, und DIE LINKE ist wie Rot-Rot-Grün insgesamt stark im Aufwind. Das Kabinett Tillich bekommt die Quittung für seine substanzlose Symbolpolitik, die besonders im Entwurf des Landeshaushalts 2011/2012 zum Ausdruck kommt: „Neuverschuldung Null“ ist die einzige Botschaft, deren ausschließlicher Zweck darin besteht, die Öffentlichkeit mit einer absurden Scheindebatte ruhig zu stellen.
Die für 2011 vorgesehenen Kürzungen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro gegenüber dem laufenden Jahr sind ein in der Geschichte des Freistaates einmaliger Einschnitt, der unverantwortlich wäre. Besonders skandalös ist, dass der Sozialbereich überdurchschnittlich geschröpft wird: Der Sozialetat soll mit einem Minus von 93 Millionen Euro um mehr als zwölf Prozent schrumpfen, weit mehr als der Gesamthaushalt (minus acht Prozent). Gegenüber dem Haushaltsjahr 2008 entspricht das sogar einer Kürzung um ein Viertel – Sachsen entwickelt sich zum Musterland des Sozialabbaus. Zum heutigen Interview der Sozialministerin Clauß nur so viel: Sie kennt offenbar nicht mal ihren eigenen Haushaltsentwurf und hat sich damit endgültig disqualifiziert.
Durch die drastischen Kürzungen bei den kommunalen Investitionen ist nicht nur die kommunale Selbstverwaltung in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise in Frage gestellt, es droht schrittweise ein Substanzverzehr, wie er hierzulande aus der Zeit bis 1990 hinlänglich bekannt ist. Wir fordern daher ergänzend zum Finanzausgleichsgesetz eine zusätzliche Investitionspauschale für die sächsischen Kommunen zwischen 75 und 100 Millionen Euro. Und wenn der Haushaltsentwurf im Krankenhausbereich jährlich Investitionen von 50 Millionen Euro vorsieht, obwohl der Bedarf bei mindestens 200 Millionen Euro liegt, sind Korrekturen dringend nötig.
Darüber hinaus sehen wir folgende zentrale Probleme, auf die der Regierungsentwurf keine Antwort gibt, weshalb wir uns darauf mit unseren Änderungsvorschlägen konzentrieren werden:
Der Lehrermangel wird in den kommenden Jahren DAS bildungspolitische Problem Nummer eins in Sachsen; dass zurzeit rund 50 Prozent aller Grundschullehrer/innen wie pädagogische Hilfskräfte bezahlt werden, befördert Abwanderung des Lehrernachwuchses. Ein Bildungsland schafft man langfristig nicht durch Tarif-Unrecht.
Der Stellenabbau bei der Polizei ist von der Regierung forciert worden, bevor sie über Aufgaben und Strukturen nachgedacht hat. Das rächt sich jetzt bitter – siehe u. a. die Besorgnis erregend zunehmende Grenzkriminalität. Damit die Polizei ihrem Auftrag, für öffentliche Sicherheit zu sorgen, dauerhaft gerecht werden kann, muss es im Jahr mindestens 300 Stellen für Neueinstellungen von Polizistinnen und Polizisten geben.
Das Land hat bisher weniger als ein Prozent zur Beseitigung der tatsächlichen Flutschäden zur Verfügung gestellt, das bescheidene Hilfsprogramm der Regierung ist schon jetzt durch Anträge dutzendfach überzeichnet. Mit Darlehen sind die Existenznöte vieler Betroffener nicht zu lindern, im Haushalt muss ein Nothilfeprogramm eingestellt werden, das diesen Namen verdient.
Die geplanten Kürzungen beim Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) müssen zurückgenommen werden. Der Bund gibt 2011 Sachsen 14 Millionen Euro mehr für den ÖPNV, nichts desto trotz will die Staatsregierung 30 Millionen Euro kürzen. Dies würde zu steigenden Preisen und Angebotsverschlechterung führen – aus sozialer wie ökologischer Sicht indiskutabel. Besonders grotesk ist, dass gleichzeitig in beiden Jahren je 50 Millionen Euro zusätzlich für die Kostensteigerungen des Leipziger City-Tunnels übrig sind.
Sachsen ist ein Kulturland, die deutschlandweit anerkannte Errungenschaft des Kulturraumgesetzes darf nicht Schritt für Schritt demontiert werden. Wir lehnen die Zwangskommunalisierung der Landesbühnen daher ab. Hier geht es „nur“ um sieben Millionen Euro, aber ein Prinzip, das im Interesse eines wichtigen Faktors von Lebensqualität nicht geopfert werden darf.
Ein bedeutendes sozial- und bildungspolitisches Thema der letzten Jahre steht unerledigt auf der Tagesordnung: die schrittweise Einführung des kostenlosen Mittagessens für Kita- und Schulkinder. Hier ist inzwischen eine mögliche Beteiligung des Bundes im Gespräch, diese Diskussionen müssen auch durch Bundesratsinitiativen beschleunigt werden. Außerdem braucht Sachsen ein „Landesprogramm Schulsozialarbeit“, damit jede Schule künftig einen Sozialarbeiter hat, wie es zur Zeit der rot-roten Regierung in Mecklenburg-Vorpommern realisiert wurde.
Die Parole „Null-Verschuldung“ lenkt aber nicht nur von diesen Problemen ab, sie ist auch in der Sache selbst unseriös. Ohne „Schuldenbremse“ könnte Sachsen theoretisch 800 Millionen Kredit im Jahr aufnehmen, in Höhe des Landesanteils an den Investitionen. Das fordert trotz tief greifender Wirtschaftskrisen-Folgen niemand. Aber es gibt keinen vernünftigen Grund, über eine halbe Milliarde Euro jährlich zur Kredit-Tilgung, für Erblastentilgungsfonds und so genannten Generationenfonds dem Landesetat zu entziehen und dann noch die Kosten des Landesbank-Crashs aus dem laufenden Haushalt zu bezahlen.
Es ist zudem ein Irrweg, nur die Ausgaben an die aufgrund politischer Fehlentscheidungen schrumpfende Einnahmebasis anzupassen, wie das diese Staatsregierung einfallslos tut. Stattdessen muss sie sich endlich zusammen mit anderen Bundesländern für eine Verbreiterung der Einnahmen einsetzen. Der wichtigste Punkt: Statt auf den bis 2019 auslaufenden Solidarpakt II wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, gilt es für einen Nachfolge-Pakt zu streiten, der in den Länderfinanzausgleich eine Demografie-Komponente einbaut. Sachsen hat seit 1990 durch den Überschuss der Abwanderung im Verglich zur Zuwanderung insgesamt 286.000 überwiegend junge, gut qualifizierte Menschen verloren und wurde zum Bundesland mit dem höchsten Durchschnittsalter. Die Bundesländer, die dadurch Fachkräftemangel abwenden und zusätzliche Wirtschaftskraft entfalten konnten, sollten einen Ausgleich leisten.
Schließlich wollen wir, dass der Landtag der Staatregierung bei den Milliarden schweren Ermächtigungen mehr auf die Finger schaut. Es kann nicht sein, dass die Regierung am Parlament vorbei das Hundertfache dessen bewegt, was in der Haushaltsdebatte im Landtag noch hin und her geschoben wird. Allein im Ergebnis der Jahresrechnung wurden Haushaltsreste in Höhe von 2,8 Milliarden Euro ins Folgejahr übertragen. Der Haushalts- und Finanzausschuss muss künftig die Federführung haben und über die Verwendung der übertragenen Mittel entscheiden können.