Sport verbindet
Ich finde befremdlich, wenn Anträge zu Menschenrechtsfragen wie die heutigen von den Grünen und der FDP fast nur dann hier im Bundestag eingebracht werden, wenn es gegen Russland geht, so zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi und nun eben zur Eröffnung der Fußball-WM. Und mich ärgert, dass dabei die Chancen eines solchen Events für politische Entspannung und Völkerverständigung weitgehend ausgeblendet werden.
Den vollständigen Wortlaut der Rede lesen Sie hier.
Rede im Wortlaut
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Natürlich ist auch meine Fraktion, Die Linke, ohne Wenn und Aber für den Schutz von Menschenrechten und die Einhaltung geschlossener internationaler Verträge wie der Schlussakte von Helsinki oder der Charta von Paris.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sind für die Stärkung demokratischer Strukturen, für die Freiheit einer unabhängigen medialen Berichterstattung, für die Einhaltung sozialer wie ökologischer Standards. Und wir wenden uns entschieden gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Diskriminierung wegen sexueller Orientierung sowie gegen die gerade seitens der FIFA immer weiter vorangetriebene Kommerzialisierung von sportlichen Großereignissen.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Ich füge aber hinzu: Das gilt für uns nicht nur für Russland, sondern für alle Länder dieser Erde.
(Beifall bei der LINKEN – Frank Schwabe [SPD]: Aber auch in Russland!)
Ich finde es, Kollege Schwabe, schon einigermaßen befremdlich, wenn Anträge wie die heute vorliegenden fast immer nur dann in den Bundestag eingebracht werden, wenn sie sich gegen Russland richten –
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Katar! China! Weißrussland! Aserbaidschan!)
so etwa zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi, nun eben zur Eröffnung der WM.
(Marian Wendt [CDU/CSU]: Wie war das in der DDR überhaupt mit Menschenrechten?)
Bei anderen Staaten war und ist die Sensibilität in diesem Haus offenbar deutlich weniger ausgeprägt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich zitiere aus dem „Mannheimer Morgen“ vom 11. Juni 2018:
„Beispiel Südkorea: … Vor den Sommerspielen 1988 in Seoul wurden mehr als 700 000 Menschen aus ihren Wohnungen gedrängt, auch von Schlägertrupps. … Der soziale Wohnraum schrumpfte um 76 Prozent. Oder Atlanta: Im Jahr vor den Sommerspielen 1996 setzte die Polizei dort 9 000 Menschen fest. Auf den Arrestformularen gab es einen Vordruck: Afro-Amerikaner. Männlich. Obdachlos.“
(Frank Schwabe [SPD]: Was hat das mit Russland zu tun? – Zuruf: Nicht ablenken!)
2002 fanden die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City statt. Just zu dem Zeitpunkt, als die USA Guantanamo eingerichtet haben, wo bis heute Menschen ohne Prozess und ohne Verurteilung festgehalten werden.
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Mein Gott, Sie machen ja eine Legendenbildung wie die AfD! – Frank Schwabe [SPD]: In Russland auch! – Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Letztes Beispiel: Auch vor den Olympischen Spielen 2012 in London gab es erhebliche soziale Verwerfungen, wurden Zehntausende Menschen zwangsweise aus ihren angestammten Wohngebieten verdrängt,
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist aber unseriös, Menschenrechte gegen Menschenrechte auszuspielen!)
die Sicherheitsmaßnahmen im Umfeld der Sportstätten wurden zum Schutz Zehntausender Zuschauer massiv verstärkt, und es gab dort ebenfalls erhebliche Einschränkungen für öffentliche Versammlungen oder Demonstrationen.
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wo hat denn vor zehn Minuten die WM begonnen?)
Zu all diesen Dingen gab es nach meiner Kenntnis im Bundestag, zumindest von Ihnen, keinen Antrag,
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist doch unwahr! Guantanamo!)
und ich kann mich deshalb des Eindrucks nicht erwehren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Genau das kritisieren wir als Linke, und ich füge hinzu: ohne dass wir die zweifellos vorhandenen Defizite in Russland irgendwie beschönigen.
(Zuruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU])
– Ich habe vorhin von Pressefreiheit gesprochen.
(Zuruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU])
Und ich habe gesagt, das gilt natürlich auch für Russland. Das habe ich ganz klar gesagt.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf mit der Aufrechnerei!)
Und es ist völlig legitim – auch das will ich sagen –, diese Dinge im Umfeld der Weltmeisterschaft zu thematisieren. Ob man das nun unbedingt am Tag der Eröffnung der WM machen muss, lasse ich mal dahingestellt.
(Ulli Nissen [SPD]: Wann denn sonst?)
– Ja, das will ich Ihnen gleich sagen.
(Michael Brand (Fulda) [CDU/CSU]: Wann denn sonst? Wenn die WM in Russland vorbei ist?)
In diesen Anträgen, die uns vorliegen, stehen eine ganze Reihe von vernünftigen und richtigen Dingen; aber die Umstände der heutigen Behandlung nähren Zweifel, dass es den Antragstellern wirklich nur um die Sache geht.
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Seit mindestens einem Vierteljahr ist bekannt, dass der Sportausschuss des Deutschen Bundestags die WM in Russland am 6. Juni diskutiert. Dort hätten die Anträge sachgerecht debattiert werden können, und vielleicht hätten wir sogar einen gemeinsamen Antrag hinbekommen.
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Also nach der Rede habe ich da große Zweifel!)
Doch das ist nicht einmal versucht worden. Das wäre der richtige Ort gewesen, sachgerecht zu debattieren.
Ja, bitte.
Also, zur Sitzung des Sportausschusses wird Frau Lazar gleich etwas sagen können. Aber: Seien Sie doch froh, dass wir Ihre Beiträge in den Ausschussberatungen in unseren Erkenntnisgewinn haben einfließen lassen, bevor wir den Antrag zu Ende geschrieben haben.
Ich wollte zu „zweierlei Maß“ etwas fragen: Die Linke ist ja dafür bekannt, dass sie die Erhöhung des Rentenalters in Deutschland ausgesprochen stark kritisiert. Jetzt ist in Ihrer Rede bisher nicht vorgekommen, dass ausgerechnet heute Ministerpräsident Medwedew das Rentenalter in Russland für Frauen um acht Jahre und für Männer um fünf Jahre erhöht hat. Ist das nicht mit zweierlei Maß gemessen, dass Sie das bis jetzt in Ihrer Rede gar nicht erwähnt haben?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Sarrazin, auf Ihre Frage will ich gerne zwei Dinge sagen. Erstens. Was den Sportausschuss angeht, geht es uns einfach darum, dass uns dieser Antrag am Dienstagabend zugegangen ist. Keine Fraktion hatte mehr die Möglichkeit, darüber zu reden.
(Jörn König [AfD]: Mittwochabend!)
Die Fraktionssitzungen waren vorbei.
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Es gibt doch kein Exklusivrecht beim Thema Menschenrechte für den Sportausschuss!)
– Ich antworte dem Kollegen. – Wir haben diese Anträge zu einem Zeitpunkt bekommen, wo eine Beratung in den Fraktionssitzungen objektiv nicht mehr möglich war. Das halte ich für problematisch, und das kritisiere ich.
(Beifall bei der LINKEN)
Der zweite Punkt. Ich weiß nicht, was die Rente mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun hat. Ich finde es schwierig angesichts der Tatsache, dass während Ihrer Regierungszeit, also als die Bündnisgrünen mit in der Regierung waren, die Renten in Deutschland nach oben gesetzt worden sind. Wir stehen nicht für Rentenerhöhung; aber Sie haben es in Deutschland durchgeführt.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Eine peinliche Debatte zum Thema Menschenrechte und WM! – Marian Wendt [CDU/CSU]: Das Rentenalter!)
– Richtig, Herr Wendt, ich meinte natürlich das Renteneintrittsalter. – Wenn Sie die Erhöhung des Rentenalters in Russland jetzt kritisieren, teile ich Ihre Kritik daran;
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ist das ein Klein-Klein! Peinlich! Das ist dem Thema Menschenrechte wirklich nicht angemessen!)
aber ich kann nicht anders, als Ihnen zurückzugeben, dass Sie das ebenfalls getan haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Auf dieser Grundlage, dass wir die Anträge nicht vorberaten konnten – weder im Ausschuss noch in der Fraktion –, ist eine seriöse Befassung aus meiner Sicht nicht wirklich gewollt, und auch aus diesem Grund lehnen wir die Anträge ab.
Was mich zusätzlich ärgert – das war in den Reden etwas anders; das will ich gerne einräumen –, ist der Umstand, dass in beiden Anträgen die Chancen eines solchen Events für politische Entspannung, Völkerverständigung, Begegnung von Menschen weitgehend ausgeblendet werden.
Das Fußballteam des FC Bundestag war letzten Freitag zu Gast in Moskau und hat dort gegen eine Mannschaft der russischen Duma gespielt.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben zwar knapp verloren, dennoch meine ich, sind und bleiben solche Treffen wichtig. Sie bleiben gerade in Zeiten, wo die Beziehungen schwierig sind, notwendig. Natürlich spricht man dort auch unbequeme Themen an. Vizepräsident Thomas Oppermann hat das getan. In den Gesprächen mit Duma-Vertretern sind Differenzen und kritische Fragen angesprochen worden. Das ist völlig richtig. Trotzdem müssen wir im Interesse der Lösung internationaler Konflikte auch gute Kontakte zu Russland aufrechterhalten.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dazu kann der Sport einen wertvollen Beitrag leisten, wie nicht zuletzt die Aktivitäten des DFB um den symbolträchtigen 8. Mai dieses Jahres in Wolgograd gezeigt haben, wo es nicht nur ein U18-Länderspiel gegen Russland gegeben hat, sondern auch gemeinsame Begegnungen und Kranzniederlegungen an den Gedenkstätten für die Opfer der Schlacht um Stalingrad. Ich finde, das sind die Zeichen, die wir dringend brauchen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein letzter Satz: Es ist ja in den vergangenen Wochen immer auch von „Putins Spielen“ die Rede gewesen. Darauf finde ich, hat unser Ex-Nationaltorwart Toni Schumacher gestern in der ARD bei „Maischberger“ eine erfreulich klare Antwort gegeben, indem er sagte: Ich habe bei großen Turnieren immer für die Zuschauer gespielt und nicht für irgendwelche Regierungschefs. Die Sportler dürfen nicht instrumentalisiert werden.
(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Der Toni Schumacher hat recht!)
Ich finde, das ist eine richtige Aussage.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich wünsche uns eine spannende und friedliche WM und unserer Mannschaft viel Erfolg in Russland.
(Beifall bei der LINKEN)