„Wir müssen die internen Querelen endlich einstellen“

Sachsens Ex-Oppositionsführer Hahn über die Krise der Linken und ihre Haltung zum Angriff auf die Ukraine

DRESDEN — Seit achteinhalb Jahren sitzt André Hahn für die Linke im Bundestag. Mit dem 58-Jährigen sprach „Freie Presse“-Landeskorrespondent Tino Moritz.

Freie Presse: Herr Hahn, die Linke ist nun auch im Saarland nach 13 Jahren aus dem Landtag herausgeflogen. Alles nur, weil Oskar Lafontaine kurz zuvor seinen Parteiaustritt erklärt hat?

André Hahn: Diese Erklärung wäre zu einfach. Ich halte den Austritt für falsch und den Zeitpunkt für unsolidarisch. Seine Verdienste bei der Gründung der Linken und als Bundestagsfraktionschef, auch früher als Ministerpräsident im Saarland bleiben. Es war offenbar viel Verbitterung im Spiel. Da hätte jemand mit der politischen Erfahrung eines Oskar Lafontaine eigentlich souveräner sein müssen. Fakt ist: Eine zerstrittene Partei – wie leider auch die Linke im Saarland – ist für die Wähler nicht attraktiv.

Schon nach der 4,9-Prozent- Schlappe zur Bundestagswahl 2021 war viel von einer existenziellen Krise der Partei die Rede. Hat die Partei daraus überhaupt Lehren gezogen?

Die Ursachen waren vielschichtig. Vom Mindestlohn bis zur Reichensteuer sind uns einige sozialpolitische Themen von der SPD de facto „geklaut“ worden, von denen jetzt in der Ampel-Koalition kaum etwas umgesetzt wird. Hinzu kam, dass wir in den letzten Jahren alles andere als geschlossen agiert haben. Wir müssen die internen Querelen endlich einstellen. Das Bundestagswahlergebnis war ein ernster Warnschuss. Ich bin mir nicht sicher, ob das alle verstanden haben.

Sind die inhaltlichen Gräben vor allem zwischen den Anhängern Sahra Wagenknechts und den sogenannten Bewegungslinken nicht längst viel zu tief für Friede, Freude, Eierkuchen?

Wir müssen beides tun – sowohl die Interessen der sozial Benachteiligten als auch den ökologischen Wandel beachten. Dass es beim Klimawandel sozial gerecht zugeht, haben andere Parteien nicht ansatzweise so im Blick wie wir. Bei den sozialen Themen sollten wir mindestens das einfordern, was die SPD im Wahlkampf versprochen hat. Wir müssen wieder deutlicher Interessenvertretung der arbeitenden Menschen werden – und des Ostens bleiben. Die Leute müssen sehen, dass wir uns für sie stark machen.

Sie selbst scheiterten am vorigen Donnerstag im Bundestag bei der Wiederwahl ins Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) zur Überwachung der Nachrichtendienste. Hat sich gerade alles gegen die Linke verschworen?

Ich war selbst überrascht, hatte auch keine Signale aus anderen Fraktionen, dass es so eng werden könnte, zumal ich ja auch schon Vorsitzender dieses Gremiums war. Deshalb hoffe ich, dass das noch nicht das letzte Wort war. Ich hatte 341 Ja- und 180 Nein-Stimmen bei 72 Enthaltungen, zur erforderlichen Mehrheit fehlten mir 28 Stimmen. Fast 100 Abgeordnete haben bei der Abstimmung aber gefehlt, auch coronabedingt. Ich werde daher im April noch einmal antreten.

Vielleicht hat Ihnen ja auch die Haltung Ihrer Partei zum Ukraine-Krieg geschadet?

Das vermag ich nicht zu beurteilen. Auch wenn die Linke oft als Putin- Versteher abgestempelt wurde, ist unsere Haltung klar: Dieser Krieg ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung, da ist nichts zu relativieren. Niemand hat das Recht, ein anderes Land zu überfallen, auch Russland nicht – egal wie die kritikwürdige Vorgeschichte mit der Nato-Osterweiterung war. Punkt. Ende.

Innerhalb der Linken sehen das mit der Verurteilung Russlands aber offenbar nicht alle so klar …

Meine Fraktion hat sich eindeutig und einstimmig gegen den Krieg ausgesprochen. Wir kritisieren aber zugleich das von Kanzler Scholz verkündete 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm. Damit hätten wir den dritt- oder viertgrößten Rüstungsetat der Welt. Das passt nicht zu einem friedliebenden Land. Die Bundeswehr ist eine Verteidigungsarmee, neue Bomber sind der falsche Weg. Für den lange versprochenen Bonus für Pflegekräfte und andere soziale Maßnahmen ist angeblich kein Geld da, aber für ein Sondervermögen für Aufrüstung soll nun sogar das Grundgesetz geändert werden. Da stimmt etwas nicht.

Die Ampel-Koalition stattet die Ukraine sogar mit Waffen aus. Warum lehnt die Linke das ab?

Immer mehr Waffen schaffen nicht mehr Frieden. Diplomatisch muss alles getan werden, damit der Krieg beendet wird. Ein möglicher Ausweg könnte die dauerhafte militärische Neutralität der Ukraine sein. Das wurde ja von Präsident Selenskyi selbst ins Spiel gebracht.

Wie groß war Ihre persönliche Enttäuschung über Wladimir Putin am 24. Februar?

Im Unterschied zu manch anderen habe ich Putin und seinen autoritären Stil schon länger skeptisch gesehen. Trotzdem hielt auch ich es für undenkbar, dass die russische Armee in der Ukraine einmarschieren könnte. Das war außerhalb meines Vorstellungsvermögens.

Hat die Linke im Verhältnis zu Russland mehr aufzuarbeiten als andere Parteien?

Aufarbeitung ist der falsche Begriff, aber ja, gerade unter Ostdeutschen gab und gibt es eine größere Affinität zu Russland. Das hat vor allem mit der Geschichte zu tun. Zu DDR- Zeiten arbeiteten viele Menschen an der „Druschba“-Erdgastrasse oder unternahmen Reisen in die Sowjetunion. Mein Fraktionschef Dietmar Bartsch hat dort studiert. Die jungen Leute von heute haben diese Bindungen natürlich nicht mehr. Ich hoffe dennoch, dass persönliche Beziehungen nach Russland bleiben und auch dann noch bestehen, wenn Putin nicht mehr Präsident ist. Es wäre gerade jetzt wichtig, nicht alle zivilgesellschaftlichen Kontakte abzubrechen. Das gilt auch für den Sport, der Völker nicht trennen, sondern verbinden soll. Städtepartnerschaften und kulturelle Kontakte sollten ebenfalls nicht eingefroren werden. Russland gehört zu Europa. Die Schuld am Krieg trägt nicht das russische Volk, sondern Putin mit seiner Entourage. |tz


André Hahn

Seit gut 27 Jahren ist der gebürtige Berliner Abgeordneter: Im Sächsischen Landtag saß er von Dezember 1994 bis November 2013 – von 1995 bis 2007 als Parlamentarischer Geschäftsführer, danach bis 2012 als Fraktionschef. Zur Landtagswahl 2009 kam die Linke mit ihm als Spitzenkandidat auf 20,6 Prozent. 2013 wechselte Hahn in den Bundestag, wo er beispielsweise im Sportausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium aktiv wurde. Der Stürmer des FC Bundestag lebt in Gohrisch in der Sächsischen Schweiz. |tz

Quelle: Freie Presse 28.3.22

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