Wirksamer Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt braucht mehr als Symbolpolitik

Bei sexualisierter Gewalt gegen Kindern darf es null Toleranz geben. Das Ziel der Koalition, mit dem Gesetz den Schutz von Kindern zu verbessern, unterstützt DIE LINKE ausdrücklich. Allerdings haben wir Zweifel, ob das mit dem vorliegenden Entwurf tatsächlich erreicht werden kann. Mit Symbolpolitik lässt sich ein solch komplexes gesellschaftliches Problem nicht bekämpfen.


Auszug aus dem Plenarprotokoll 19/187 vom 30.10.2020

Tagesordnungspunkt 26 sowie Zusatzpunkt 11:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder (Drucksache 19/23707)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Annalena Baerbock, Ulle Schauws, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN

Prävention stärken – Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen (Drucksache 19/23676)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Federführung strittig

Dr. André Hahn (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „sexualisierte Gewalt“ lässt in diesem Hause sicher niemanden kalt, und wir sind uns hoffentlich alle darin einig: Bei sexueller Gewalt gegen Kinder darf es nur null Toleranz geben.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Die davon Betroffenen tragen ihre traumatischen Erfahrungen oft durch das ganze Leben. Studien belegen, dass diese Opfer deutlich suizidgefährdeter sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. In den 60 Minuten, in denen wir heute hier debattieren, werden laut der Polizeilichen Kriminalstatistik zwei weitere Kinder in Deutschland Opfer von sexueller Gewalt.

Das Ziel der Koalition, mit dem Gesetz den Schutz von Kindern zu verbessern, unterstützt Die Linke ganz ausdrücklich. Allerdings haben wir Zweifel, ob dieses richtige Ziel mit dem vorliegenden Entwurf tatsächlich erreicht werden kann.

Bereits zum Referentenentwurf erhielt das Justizministerium 35 Stellungnahmen mit zahlreichen kritischen Hinweisen und schwerwiegenden Einwänden. Vergleicht man den ursprünglichen Entwurf mit dem nun vorliegenden Gesetzestext, stellt sich schon die Frage, was diese Stellungnahmen bewirkt haben. Besser ist der Gesetzentwurf leider nicht geworden; an manchen Stellen eher schlechter. Wir als Linke meinen: Mit Symbolpolitik lässt sich ein solch komplexes gesellschaftliches Problem nicht bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen uns schon die Frage stellen, warum wir hier so langsam vorankommen. Warum haben all die Aktivitäten der vergangenen Jahre nicht verhindert, dass die Zahl der Kinder, die Opfer sexueller Gewalt wurden, weiter steigt? Ist nur die Dunkelziffer kleiner geworden, also werden mehr Straftaten entdeckt und verfolgt? Oder greifen die derzeitigen Gesetze und Maßnahmen zu kurz? Immer wieder wird nach grausamen Straftaten über härtere Strafen für Täter gesprochen; viel zu selten aber über einen wirksamen Opferschutz.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei belegen fast alle Studien, dass Strafverschärfung allein nicht das geeignete Instrument ist. Selbst die Koalition schreibt in der Begründung ihres Gesetzentwurfes – ich zitiere –:

Die in den letzten Jahren bekanntgewordenen Missbrauchsfälle von Staufen, Bergisch-Gladbach, Lügde und Münster zeigen in aller Deutlichkeit auf, dass das Strafrecht, das an sich bereits heute empfindliche Strafen für sexualisierte Gewalt gegen Kinder und die Delikte der Kinderpornographie vorsieht, nicht die erhoffte Abschreckungswirkung entfaltet.

O-Ton aus der Koalition selbst. Darüber müssen wir dann auch im Ausschuss reden.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Deswegen ändern wir das jetzt!)

Noch einmal: Wir brauchen keine Symbolpolitik, sondern vor allem wirkungsvolle Maßnahmen zur intensiven Prävention gegen sexualisierte Gewalt, damit derartige Straftaten möglichst gar nicht mehr begangen werden. Und natürlich brauchen wir ausreichend Personalausstattung bei den Gerichten.

Meine Damen und Herren, auch im Sport ist sexualisierte Gewalt gegen Kinder leider ein lang bekanntes Phänomen. Vertrauens- und Machtpositionen von Trainern und Funktionären begünstigen den Missbrauch von minderjährigen Sportlerinnen und Sportlern.

Am 13. Oktober dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, fand ein sehr beeindruckendes öffentliches Hearing der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs mit dem Schwerpunkt Sport statt. Laut einer Studie von 2016 haben über ein Drittel der Kaderathleten sexuelle Gewalt in verschiedenen Formen erfahren. Auch hier wurde deutlich, dass Kinder eben nicht ausreichend geschützt wurden. Während die Geschädigten infolge sexualisierter Gewalt oftmals ihre Sportkarriere beenden mussten, konnten viele Täter weiter in den Sportverbänden tätig bleiben.

Die Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung des Deutschen Olympischen Sportbundes, Petra Tzschoppe, hat sich auf dem Hearing im Namen des DOSB bei allen Betroffenen entschuldigt. Das war ein wichtiges und notwendiges Zeichen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich füge aber hinzu: Entschuldigungen allein reichen nicht. Die Opfer brauchen auch konkrete Hilfe durch psychologische Betreuung, aber auch in Form einer angemessenen finanziellen Entschädigung durch den Staat bei aktiver Beteiligung der Sportverbände. Hier muss endlich etwas geschehen.

Präventionsmaßnahmen spielen die wichtigste Rolle,um sexuelle Straftaten zu verhindern. Im Gesetzentwurf,
aber vor allem im vorliegenden Antrag der Grünen, gibt es hierzu eine Reihe von guten Vorschlägen, die wir als Linke gern unterstützen.

Es muss darüber hinaus aber noch deutlich mehr Aktivitäten geben. Dazu zähle ich ein ausreichendes sowie dauerhaft ausfinanziertes Netz von Beratungsstellen, gut ausgestattete Jugend- und Sozialämter sowie bessere Fort- und Weiterbildungskonzepte für Trainerinnen und Trainer, Pädagoginnen und Pädagogen, Beschäftigte in der Kinder- und Jugendhilfe. Für die Opfer brauchen wir überall einen Zugang zu therapeutischen Angeboten und psychosozialer Hilfe mit qualifizierter Betreuung, Informationsvermittlung und Unterstützung. Für Menschen mit pädophilen Neigungen brauchen wir anonymisierte Therapieangebote, damit sie möglichst gar nicht erst zu Tätern werden.

Wir als Linke hoffen sehr, dass es uns gelingt, den Gesetzentwurf der Koalition in den Ausschussberatungen noch deutlich zu verbessern, gerade auch mit Blick auf die zahlreichen Anregungen und Vorschläge, die der Deutsche Anwaltverein dem Parlament übermittelt hat, unter anderem zum Wegfall der sogenannten minderschweren Fälle.

Meine Damen und Herren, für einen wirksamen Schutz der Kinder vor sexualisierter Gewalt brauchen wir einen Kulturwandel im Sport, in Kinder- und Jugendeinrichtungen, in der Kirche, in der Familie, letztlich in der ganzen Gesellschaft. Schweigen schützt die Falschen. Lediglich ein Drittel der sexualisierten Gewalterfahrungen wird überhaupt mitgeteilt und nur 1 Prozent von Ermittlungsbehörden oder Jugendämtern verfolgt. Das muss sich dringend ändern.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Letzte Bemerkung: Kinder brauchen und verdienen unseren Schutz vor sexueller Gewalt, und sie haben darauf auch ein aus der UN-Kinderrechtskonvention hergeleitetes Recht. Der von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf muss hier noch nachgebessert werden. Und wir brauchen endlich die Kinderrechte im Grundgesetz.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)